piwik no script img

Archiv-Artikel

Immer weiter im Drang nach oben

Um in der Champions-League der berühmten Städte der Welt mitspielen und den Konkurrenzkampf der Metropolen bestehen zu können, will sich Hamburg eine spektakuläre Philharmonie als neues Wahrzeichen bauen. Innen soll die dann dem Magen-Darm-Trakt eines Alien gleichen

aus Hamburggernot knödler

Hamburg will Sydney werden. Nicht erst seit den Olympischen Spielen 2000 kennt jedes Kind das berühmte Opernhaus der australischen Stadt. Mit seinem Ensemble aus Segeln oder weißen Sturmhauben gehört es zur Ikonografie des Planeten. Auch Hamburg möchte in den Bildbänden auftauchen und viele in der Stadt sehen die Chance dazu gekommen, seit der Entwurf für eine „Elbphilharmonie“ der renommierten Baseler Architekten Herzog & de Meuron vorliegt. Vom Fischmarkt und den Landungsbrücken aus gut zu sehen, könnte der wie ein Dampfer aufragende Bau zum Symbol für „den Wachstumswillen der Stadt“ werden, wie es Wirtschaftssenator Michael Freytag (CDU) formulierte.

Das Projekt ist aufgekommen, weil der Senat im Hafen ein neues Stadtviertel baut: die Hafencity. Dafür macht er im Wesentlichen tabula rasa. Nur einige alte backsteinerne Speicher sollen neu genutzt werden. Auch der Kaispeicher A, ein 35 Meter hoher, streng gegliederter Klotz auf der Spitze einer Kaizunge, sollte zunächst abgerissen werden – zum Leidwesen von Denkmalschützern und Architekten. Im Juni 2003 jedoch trat der Projektentwickler Alexander Gérard mit der Idee auf den Plan, eine zeltartig geschwungene Philharmonie auf den Speicher zu setzen.

Hamburg hat zwar schon eine Musikhalle. Doch der 1908 fertig gestellte Bau mit 1.500 Sitzplätzen gilt als zu klein und bescheiden, um Künstler von internationalem Rang in die Stadt zu holen. Gérard vermutete daher ein Potenzial von Musikfreunden, das heute nicht auf seine Kosten kommt. Immerhin zählt die Metropolregion gut vier Millionen Einwohner und allein Hamburg knapp sechs Millionen Touristen, die heute wenig ins Konzert gehen. Auf 1.000 Einwohner kommen in München 183 Konzertbesucher, in Köln 175, in Berlin 111, in Hamburg 100.

Gérards Idee wurde mit selten breiter Zustimmung aufgenommen: Endlich schien ein Entwurf gefunden, der den Anspruch der Hafencity verkörpern konnte, durch erstklassige Architektur Maßstäbe zu setzen. Der Senat übernahm das Projekt in eigene Regie und ließ die Architekten eine Vorentwurfsplanung samt Kostenschätzung machen, die jetzt vorgestellt worden ist.

Herzog & de Meuron sind berühmt geworden durch den Bau der Galerie Tate Modern in London. Hierzulande haben sie zuletzt mit der neuen Bibliothek für die TU Cottbus Furore gemacht. Für Hamburg entschlossen sie sich, den Kaispeicher A als Fundament für eine gläserne Philharmonie zu verwenden, wobei die tonnenschweren Lasten, die der Speicher bisher im Inneren trug, jetzt von außen kommen sollen. Auf 35 Meter Speicher werden bis zu 70 Meter Philharmonie gebaut, wobei die gläserne Mütze über dem Speicher zu schweben scheint.

Darin wird eine ganze Stadt enthalten sein: ein Parkhaus mit 754 Plätzen im alten Speicher, 42 Luxuswohnungen auf der Elbseite, ein Fünf-Sterne-Hotel mit 200 Zimmern landseitig, dazwischen die Philharmonie mit zwei Sälen, ein spektakuläres Foyer und auf dem Dach des Speichers eine Plaza, von der die Besucher auf den Hafen und über die Innenstadt hinweg auf die Alster blicken können.

Die Plaza, auf der auch ein Restaurant vorgesehen ist, soll ein öffentlicher Treffpunkt werden. Hinauf gelangen Besucher über eine Rolltreppe, die diagonal durch den Speicher führt, sowie drei Aufzüge. Wer oben aus der Röhre tritt, wird vom Blick auf den Hafen überwältigt. Dreht er sich um, fällt sein Blick ins Foyer des Konzerthauses, das sich öffnet wie der Magen-Darm-Trakt eines seltsamen Tieres. In sich verwunden und geriffelt führt es an der schüsselförmigen Unterseite des großen Konzertsaals nach oben. „Man hat den inneren Drang, weiter nach oben zu kommen“, findet der Hamburger Oberbaudirektor Jörn Walter.

In der Tat: Den Animationen nach zu urteilen, würde man sich als Besucher stets fragen, was wohl hinter der nächsten Biegung lauert. Denn die alienhaft-organische Anmutung dieser Innereien löst eine leise Beklemmung aus. Dazu trägt bei, dass die Form des großen Saals außen wie innen durch feine Stufen gebildet wird, wie in die Hügel in einem Architekturmodell. Die so entstehende Riffelung erinnert an eine Darm-Peristaltik.

Der Große Saal mit 2.200 Sitzen wäre, um im Bild zu bleiben, der Magen und er ist auch so gedacht, denn hier werden Publikum und Künstler miteinander vermengt. Er ist als Arena angelegt, deren Ränge fließend ineinander übergehen und die die Bühne rings umschließen. „Es wird schwierig werden, Preisstufen festzulegen“, warnte ein Mitglied des internationalen Fachkuratoriums, das die Stadt bei dem Projekt berät, scherzhaft.