Fiktive Realitäten

Erlesen chiffriert: Pieter de Hooch in der Kunsthalle

Zwei Jahre lang wurde das Gemälde „Der Liebesbote“ des Rotterdamer Feinmalers Pieter de Hooch (1629–1684) mühsam restauriert. Jetzt bildet es mit einigen Vergleichsstücken aus anderen Museen und inmitten der Werke von Zeitgenossen aus dem Goldenen Zeitalter der niederländischen Malerei das Zentrum einer kleinen, feinen Ausstellung in der Kuppel der Hamburger Kunsthalle. Dabei verbreitet das nur 57x53 cm große Bild neuen Glanz, sei es im Lichteinfall aus extrem seitlich gesetzter Bildtiefe oder den Reflexen auf den Brokatstoffen. Glanz auch im übertragenen Sinne: Da von diesem Vermeer-zeitlichen Interieurmaler nur 60 bis 80 gesicherte Werke bekannt sind, ist die Ausstellung mit sechs eigenhändigen Arbeiten bereits die bisher in Deutschland Größte.

Was seit je Sammler zu ungebrochener Bewunderung trieb, ist die außerordentliche Feinheit der Schilderung eines großbürgerlichen Lebensstils, bei dem in sorgsam gestalteten Räumen Menschen in prunkvoller Kleidung mit sparsamen Gesten miteinander zurückhaltend kommunizieren. Doch trotz des Realismus aller Details auf den Bildern dieser Räume ist Vorsicht geboten: Diese Orte sind weitestgehend fiktiv. „Die haben das alles nicht gelebt, was sie da gemalt haben“, sagt Kuratorin Martina Sitt. Das meint nicht nur die – bis auf wenige Ausnahmen – trotz eines florierenden Kunstmarkts bescheiden lebenden Künstler: Auch kaum ein Bürger konnte sich die die Perspektive so schön konstituierenden schwarzweißen Marmorfußböden leisten. Und die Raumfluchten, die die Durchblicke in vielen Bildern suggerieren, lassen sich in den Stadtgrundrissen der damaligen Zeit nicht nachweisen.

Diese Gemälde sind also ein nur medial realisierter Wunschtraum. Betrachtet man die unterkühlte Aktion und die bildinternen Hinweise auf die weitere Reaktion der Personen, wird daraus fast so etwas wie ein inszenierter Filmstill. Zwar wirkt die junge Frau auf dem Hamburger Bild so keusch wie die Jungfrau Maria, in deren ordentliche Welt gerade ein ungestümer Bote einbricht, aber das kaum erkennbare Bild im Bild über ihrem Kopf zeigt eine antikische Verführungsszene. Und das in einer Zeit, in der schon eine unter dem Rock hervorlugende Fußspitze ein erotisches Versprechen war.

Hajo Schiff

Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr, Kunsthalle; bis 26. Juni