Der Wanderer von New York

9/11 Von der Berlinale in die Kinos: „Extrem laut und unglaublich nah“ von Stephen Daltry ist die Adaption des Romans von Jonathan Safran Foer über das amerikanische Trauma

Nach „Billy Elliot“ hat Stephen Daldry sich darauf spezialisiert, intime Dramen über die großen tragischen Themen zu inszenieren

VON WILFRIED HIPPEN

Tom Hanks spielt hier einen Vater, der so perfekt ist, dass es fast schon lächerlich wirkt. Doch wir sehen ihn ja in Rückblenden und aus der Perspektive seines Sohnes Oscar Schell, der ihn nach seinem Tod im zusammenstürzenden World Trade Center am 11. September 2001 idealisiert. Ein Jahr nach der Tragödie ist Oscar immer noch schwer traumatisiert. Unter den Dingen, die sein Vater zurückließ, findet er einen Schlüssel in einem Umschlag, auf dem das Wort Black steht, und um dieses Geheimnis zu lösen, begibt er sich auf eine Schatzsuche. Er will alle New Yorker mit dem Namen Black besuchen und hofft so, das passende Schloss für den Schlüssel zu finden. Bei seiner Suche in ganz New York trifft der Junge viele ebenfalls traumatisierte Menschen, deren Geschichten jeweils in kleinen Episoden angerissen werden. Und der zugleich hyperaktive und grenzwertig autistische Oscar lernt im Laufe seiner Abenteuer, seine Angst vor der Welt und den anderen Menschen, die ihm „extrem laut und unglaublich nah“ erscheinen, zu bewältigen.

Indem er durch die Stadt wandert und erlebt, wie der 11. September das Leben von allen Menschen verändert hat, kann er seinen Verlust schließlich mit dem kollektiven Trauma verschmelzen lassen. Seine Schwierigkeiten, Nähe zuzulassen, werden auch geschickt durch sein Verhältnis zu seiner Großmutter deutlich gemacht, die im Haus nebenan wohnt, und mit der er abends über Walkie Talkies Funksprüche austauscht. So wird für ihn durch Distanz Nähe ermöglicht. Ähnlich ist sein Verhältnis zum geheimnisvollen Untermieter seiner Großmutter, der kein Wort spricht und sich nur mit geschriebenen Worten verständigen kann. Auch Sandra Bullock, die als Oskars Mutter lange passiv im Hintergrund agiert (da der Film weitestgehend aus der Perspektive des Jungen erzählt wird, sehen wir auch sie mit seinen Augen), bekommt im letzten Akt einen dramaturgische grandios gesetzten und gespielten Moment der Wahrheit, wenn sie ihrem Sohn ihre Rolle in seinem Spiel offenbart.

Auf der Bildebene findet Daldry ebenfalls überzeugende Mittel, mit denen er die Trauer und die Ängste von Oscar intensiv spürbar werden lässt. So etwa in den Visionen von aus den Twin Towers fallenden Menschen oder in den Sequenzen, bei denen er durch Menschenmengen geht und alle anderen zu bedrohlich, unscharfen Schemen werden.

Nach seinem großen internationalen Erfolg mit „Billy Elliot“ hat der britische Regisseur Stephen Daldry sich darauf spezialisiert, intime Dramen über die großen tragischen Themen zu inszenieren. In „The Hours“ ging es um Aids, in „Der Vorleser“ um den Holocaust, jetzt um 9/11. Der Drehbuchschreiber Eric Roth hat sich dagegen mit „Forrest Gump“ und „Der seltsame Fall von Benjamin Button“ auf Geschichten über bizarre Lebenswege spezialisiert. „Extremly Loud & Incredibly Close“ ist für zwei Oscars nominiert. Als bester Film hat er nur geringe Außenseiterchancen, aber Max von Sydow dürfte als bester Nebendarsteller der Favorit sein. Wenn er etwa zur Hälfte des Films auftaucht und beginnt, den Jungen bei seiner Gralssuche zu begleiten, scheint der ganze Film in einen höheren Gang zu schalten. Von Sydow bietet mit seinem ruhigen, extrem ausdrucksstarken Gesicht einen wirkungsvollen Kontrast zu dem (der Rolle genau entsprechenden) zappelig-nervösen Thomas Horn. Sein Schweigen ist der dringend benötigte Kontrapunkt zum ständigen Gerede von Oscar, das wie ein nicht erfolgreich sublimiertes Überbleibsel von der literarischen Vorlage wirkt und den Protagonisten manchmal enervierend altklug wirken lässt. Von Sydows namenlos bleibender „Mieter“ kann dagegen mehr mit dem auf seine Handflächen tätowierten „Ja“ und „Nein“ ausdrücken.