: IM JAHR DES DRACHEN: KOMM ZURÜCK, ANGELA!
VON CHRISTIAN Y. SCHMIDT
Neulich war Angela Merkel hier in Peking, um von den Chinesen Geld für die Eurorettung zu erbetteln. Zuvor hatte sie sich für ihren wöchentlichen Kanzlerinnen-Podcast extra vor die chinesische Fahne gesetzt, was so aussah, als ob Deutschland schon zu China gehören würde. Trotzdem schien die Betteltour ein eher aussichtsloses Unterfangen. Die chinesische Regierung hatte ja schon öfter mitgeteilt, dass es nur Geld gibt, wenn die Europäer damit keinen Unsinn treiben. Und das kann auch Angela Merkel nicht garantieren.
Deshalb hatte ich mir vorgenommen, der Kanzlerin zu helfen. Dazu musste ich sie allerdings erst einmal treffen. Ich wusste, dass sie eine berühmte Altstadtstraße besuchen wollte, die Nanluguo Xiang. Da eilte ich also am vorletzten Donnerstag hin. Vorher hatte ich mir 500 Yuan eingesteckt. Die wollte ich Merkel zur Eurorettung übergeben. Selbstverständlich wären die rund sechzig Euro nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Doch ich hoffte, dass meine chinesischen Mitbürger meinem Beispiel folgen würden.
Bei dem im Westen weltberühmten Künstler Ai Weiwei hatte das ja auch geklappt. Als Ai vor ein paar Monaten Geld für sein Steuerverfahren brauchte, da hatten ihn, so erzählt es zumindest Ai, Zehntausende von Chinesen mit Spenden überschüttet. Innerhalb nur weniger Tage seien so achteinhalb Millionen Yuan zusammengekommen. Dabei ist Ai mehrfacher Millionär, der das Geld gar nicht braucht. Ganz anders unsere Kanzlerin. Wenn also auch nur die Hälfte aller Chinesen ebenfalls 500 Yuan spendeten, dann wäre das schon ein hübsches Sümmchen.
Ich wusste nicht genau, wann Merkel in der Altstadtstraße aufkreuzen würde. Also setzte ich mich in die strategisch günstig gelegene 16-Millimeter-Bar unter ein Poster von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao, auf ein rotes Sofa mit herzförmigen Kissen. Von hier aus wollte ich sofort aufspringen, käme Merkels Tross vorbei, um ihr dann die 500 Yuan zu überreichen.
Tatsächlich klappte auch fast alles wie gedacht. Nach ungefähr zwei Stunden Wartezeit passierte der erste Fotografen-Pulk die Bar. Ich stürzte hinaus und stand zu meiner eigenen Überraschung fast direkt vor ihr. Uns trennten jedenfalls kaum zwei Meter. Jetzt wäre die Chance da gewesen, einfach das Portemonnaie zu zücken, die fünf roten Scheine herauszuholen und sie der Kanzlerin zu übergeben. Doch im Angesicht dieser ganzen unfassbaren Merkeligkeit, dem leicht verflusten Mantel, der lila Bluse, den etwas verstruwwelten Haaren und dem aschfarbenen Gesicht, war ich plötzlich unfähig zu handeln.
Dann war sie auch schon weiter und ließ mich wie ein begossenes Ypsilon zurück. Verdammt, ich hatte die Eurorettung vermasselt. Jetzt bleibt mir nur, an dieser Stelle zu appellieren: Wenn Ihnen wirklich was am Euro liegt, Frau Merkel, dann kommen Sie doch bitte sofort zurück nach Peking! Mein Angebot steht nämlich immer noch. Am besten treffen wir uns in der 16-Millimeter-Bar unter dem Poster auf dem roten Sofa. Ich kann fast jederzeit.