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Archiv-Artikel

Carstensen umarmt die SPD

Schleswig-Holsteins Landtag kann’s doch noch. Nach vier vergeblichen SPD-Anläufen im März wählt er nun Peter Harry Carstensen (CDU) zum Ministerpräsidenten. Der Mann der zweiten Reihe zeigt ungeahnte Landesvaterqualitäten

KIEL taz ■ Er war ein wenig nervös. „Es ist ein für mich bewegender Augenblick“, sagte Peter Harry Carstensen. Der CDU-Mann ist der frisch gewählte Ministerpräsident Schleswig- Holsteins.

Am 17. März, als der Landtag schon einmal zur Wahl zusammenkam, um Heide Simonis (SPD) wieder zu wählen, war Carstensen viel vergnügter gewesen. Schon vor den Abstimmungen, die viermal eine Stimme Enthaltung und viel Schmach für die SPD-Kandidatin Heide Simonis brachten. Gestern nun wählten seine CDU und die Zwangspartner der SPD den 58-Jährigen mit 54 Stimmen zum Ministerpräsidenten. Sieben Abgeordnete, vermutlich die beiden vom SSW und die vier Grünen sowie einer der SPD, stimmten mit nein. Acht Parlamentarier enthielten sich, darunter mutmaßlich vier Mitglieder der FDP.

Es ist also geschafft: Der lang unterschätzte Mann von Nordstrand übernimmt das Ministeramt. Selbst die CDU hatte in den Monaten des Wahlkampfes an ihrem Kapitän gezweifelt, als sich Pannen und unbedachte Worte häuften, und Heide Simonis, damals noch mit guten Prognosen im Rücken, sagte: „Er ist ja ein netter Mensch – aber eben nur ein netter Mensch.“

Nett, herzlich, offen – so tritt Carstensen auf, und so sei er auch, sagen Vertraute. „Ein toller Typ“, meinte seine Tochter Stefanie gestern. Er ist einer, mit dem man sich gut vorstellen kann, abends beim Bier zusammenzusitzen und zu klönen, über Gott und die Welt und vielleicht sogar über Politik. Aber ihm das Ruder überlassen?

Seit die SPD mit ihm verhandeln musste, haben die Genossen und viele Journalisten ungeahnte Qualitäten des Kandidaten ausgemacht. Während die Sozialdemokraten sich noch zierten – „Verhandlungen ja, Koalition nicht um jeden Preis“, hatte SPD-Landeschef Claus Möller gesagt –, stand Carstensen von Anfang an zur großen Koalition mit der SPD. Er wolle sie – um die zahlreichen Probleme des Landes angehen zu können. Er überließ der Juniorpartnerin SPD vier der sieben Ministerposten, darunter das Innenressort, er lobte seine Verhandlungspartner in der Öffentlichkeit. Bei Pressekonferenzen rückte er Möller gern nahe – für den linken Spitzengenossen fast zu nahe.

Verstecken kann Carstensen seine polterige Hemdsärmeligkeit, seine körperliche Präsenz nicht, sie gehört zu seinem Wesen. Er kann sie aber einsetzen – und das hat er offenbar getan bei den Beratungen. Er hat der SPD Brücken gebaut, über die sie gehen kann, ohne ganz das Gesicht zu verlieren. Er hat sie fest in die Arme genommen, denn das kann er richtig gut. Wenn er sich auf diese Qualitäten besinnt, mag er ein echter Landesvater werden: einer, der Schleswig-Holstein verkörpert – jedenfalls den Teil, der sich in Carstensens Weltbild wiederfindet. Der seine ungleiche Koalition zusammenhält, nicht, indem er mit harter Hand führt, sondern indem er mit seiner Dröhnestimme ausgleichende Worte spricht.

Es besteht allerdings die Gefahr, dass der Vater zweier Töchter, der politisch stets in der zweiten Reihe stand, mehr will, als er kann. Und dass er die Themen und Probleme unterbügelt, die ihm nicht passen: „Steckenpferde, Spielwiesen“ nannte er in seiner gestrigen ersten Rede im Landtag alle Dinge, die nicht direkt Arbeit schaffen oder seiner Ansicht nach das Land voranbringen. Gemeint sind Umweltschutz, Frauenpolitik und soziale Projekte.

Können die Sozialdemokraten in Zukunft auf Augenhöhe mit der CDU mithalten, oder lassen sie sich in der festen Umarmung die Luft abdrücken? Gestern zumindest mahnte Peter Harry Carstensen sein Kabinett, die Verantwortung für das Land über Parteipolitik zu stellen: „Wir sind zum Erfolg verdammt.“

ESTHER GEISSLINGER