: VW-Abgeordnete sollen Geld zurückzahlen
Bislang mussten Parlamentarier mit fragwürdigen Nebeneinkünften vor allem politischen Schaden fürchten. Jetzt aber geht es zweien ans Portemonnaie. Sie sollen mehr als 100.000 Euro zahlen – weil sie für VW-Jobs kassierten, die sie nicht getan haben
AUS HANNOVER JÜRGEN VOGES
Mit einem Novum in der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte kann heute der niedersächsische Landtagspräsident Jürgen Gansäuer aufwarten. Der CDU-Politiker wird erstmals von zwei Landtagsabgeordneten zu Unrecht bezogene Nebeneinkünfte für das Land zurückfordern.
Die SPD-Abgeordneten Ingolf Viereck (Wolfsburg) und Hans-Hermann Wendhausen (Helmstedt) hatten bekanntlich seit ihrem Einzug in das Landesparlament 1994 bis Anfang 2005 neben ihren Diäten weiter ein Gehalt von ihrem alten Arbeitgeber Volkswagen bezogen, dafür aber nur geringe oder keine Leistungen erbracht. Laut Gesetz aber dürfen Parlamentarier keine Vergütungen annehmen, für die sie nicht auch gearbeitet haben.
Landtagspräsident Gansäuer hatte schon vor Monaten festgestellt, dass den Gehaltszahlungen von VW an die Abgeordneten „keine adäquaten Gegenleistungen“ gegenüberstanden. Sie müssten das Geld an das Land zurückzahlen. Gansäuer schaltete jedoch noch eine Wirtschaftsberatung ein, die den Wert der Gehaltszahlungen und der dafür erbrachten Arbeitsleistungen genau benennen sollte. Das von Kienbaum & Partner erstellte Gutachten liegt dem Landtag mittlerweile vor.
Es wird erwartet, dass der SPD-Abgeordnete Viereck, der nach eigener Darstellung neben seinem Mandat für VW noch Autos verkaufte, auf jeden Fall mehrere hunderttausend Euro, sein Fraktionskollege Wendhausen mindestens 100.000 Euro an das Land zahlen soll. Wendhausen war mit seinem VW-Job schon vor Jahren sozusagen in Neben-Altersteilzeit gegangen. Die SPD-Landtagsfraktion will die Entscheidung Gansäuers grundsätzlich anerkennen. Beide Abgeordnete sollen ihre Fraktionsämter verlieren, aber Mitglied der SPD-Landtagsfraktion bleiben dürfen.
Wendhausen und Viereck allerdings wollen sich juristisch gegen die Rückzahlung wehren. Nach Auffassung ihres Rechtsanwalts Bernd Rabe, der früher selbst SPD-Landtagsabgeordneter war, verletzt der Paragraf 27 des niedersächsischen Abgeordnetengesetzes, in dem die Pflicht zur Abführung von ohne Gegenleistung erhaltenen Vergütungen festgeschrieben ist, den Gleichheitsgrundsatz. Die Bestimmung verbietet nämlich nur Nebeneinkünfte von abhängig Beschäftigten, nicht aber von Selbstständigen. „Der Paragraf 27 des Abgeordnetengesetzes ist verfassungswidrig. Er verstößt gegen den elementaren Artikel 3 des Grundgesetzes, der die Gleichheit vor dem Gesetz festschreibt“, sagt Rechtsanwalt Rabe. Ein Landtagsabgeordneter, der nebenbei Freiberufler, Kaufmann, Landwirt oder Rechtsanwalt sei, könne nämlich hinzuverdienen, ohne dem Landtagspräsidenten je einen Nachweis über Gegenleistungen erbringen zu müssen.
Der Prozess, der sich an die Rückforderung des Landtagspräsidenten demnächst anschließen wird, verspricht also spannend zu werden. Vor Gericht ziehen muss dabei zunächst der Landtagspräsident. Nach Angaben der Landtagsverwaltung in Hannover kann er nicht den Gerichtsvollzieher schicken, wenn die SPD-Abgeordneten Viereck und Wendhausen ihm die hunderttausende nicht überweisen. Vielmehr muss Gansäuer beim Verwaltungsgericht in Braunschweig Leistungsklage erheben und dort eine Bestätigung seines Rückzahlungsanspruchs durchsetzen.
Rechtsanwalt Rabe will vor dem Verwaltungsgericht als Erstes eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Abgeordnetengesetzes erwirken. Das Verwaltungsgericht muss nach seiner Auffassung den strittigen Gesetzespassus zunächst dem niedersächsischen Verfassungsgericht, dem Staatsgerichtshof in Bückeburg, vorlegen.