: Die Koneva macht, was sie will
RUSSISCHE KUNST Madonna und Minni-Maus, Eierschalen, Wolle und Spaghetti: In der Galerie Sandmann ist der anspielungsreiche postsowjetische Collagen-Kosmos von Alexandra Koneva zu bestaunen
„Uns geht es gut“. So heißt die neue Ausstellung von jüngeren Werken der aus St. Petersburg stammenden Künstlerin Alexandra Koneva, 40. Gezeigt werden sie in den neuen Räumen der Galerie Sandmann in der Taubenstraße am Gendarmenmarkt. Tatsächlich erinnern Konevas Gemälde hier in Farben wie Pink, Gelb, Knallrot und Perlmutter an die Glanzbildchen, mit denen man früher Kinder für gute Leistungen belohnte.
Überlebensgroß empfängt uns gegenüber dem Eingang eine Skulptur der Minni-Maus aus Holz, Stoff und PVC mit zwei prall gefüllten Einkaufsnetzen in den Pfoten. Die Inschrift „I got it“ und die Zutaten in den Netzen verraten, für wessen Genuss und in welcher historischen Periode sie ergattert wurden: nämlich für den russischen Geschmack zur Sowjetzeit. Dazu ist aus der Vergangenheit eine Flasche Wodka „Seljonaja Marka“ aufgetaucht.
Alexandra Koneva schloss ein Studium der Kunstpädagogik in St. Petersburg ab, lebt seit 1996 als Künstlerin mit Atelier in Berlin und absolvierte 1994 ein Gastsemester bei A. R. Penck an der Düsseldorfer Kunstakademie. „Ich ging dann zu seiner Assistentin“, erinnert sie sich, „und fragte: Womit soll ich anfangen? Die musterte mich kühl und sagte: Machen sie doch, was sie wollen! – Dann bin ich nach Hause gelaufen und habe ständig gemurmelt: Was will ich denn? Was will ich denn eigentlich?“
Die Künstlerin will spielen. Dies tut sie bei den Collagen dieser Ausstellung mit einer großen Fülle von Materialien. Außer Acrylfarben kommen auch Eierschalen, Plastilin, Muscheln, Wolle, Spaghetti zum Einsatz. Genau so breit ist das Spektrum der Themen bis hin zu Parodien auf klassische russische Gemälde des 19. Jahrhunderts. „The Battle of Toy Generation“ heißen Reliefs aus Barbiepuppen und Teddybären à la Pergamonaltar.
Altarkompositionen und Madonnenbilder scheinen die Koneva überhaupt herauszufordern. Wenn darauf dann auch noch die in ihrem Kopf ständig herumtanzenden Mickimausfiguren Platz nehmen, entstehen Zeugnisse wahrer Innigkeit. Da sitzen immer wieder ein kleiner Micki und ein kleiner Donald einer Minni-Maus-Madonna zu Pfoten und schauen ihr oder einander mit gläubig schmelzenden Blicken in die Augen. Wo hat Alexandra Koneva bloß diese Blicke her? „Sie haben mir ja Modell gestanden“, antwortet sie.
Dies ist die vierte Einzelausstellung Konevas für diese seit 23 Jahren bestehende Galerie, die ihre ersten eigenen Räume im Jahre 2001 in der Linienstraße bezog. Spezialität der gebürtigen Moskauerin Marina Sandmann und ihres deutschen Ehemanns Fritz sind Werke, welche sie anfangs trotz vieler behördlicher Hindernisse mit viel Mut nach Deutschland einführten: die sogenannte Zweite Avantgarde, inoffizielle russische Kunst seit dem Ende der 50er Jahre.
Eine der Galeriewände ziert heute als fünfzehnteilige Tafel von Alexandra Koneva ein typisches Fossil jener Periode: die Kommunalka, die berühmte sowjetische Zwangswohngemeinschaft, in der jede Familie nur ein Zimmer bewohnte. „Apartment 25“ heißt die insgesamt drei Meter lange Arbeit aus Acrylmalerei, Originaltapeten, Fotos, Postkarten und Bilderrahmen. Hier können wir in jedes Zimmer blicken und werden dabei zu Voyeuren des gesamten menschlichen Lebenszyklus von der Zeugung bis zum Tod.
Alexandra Koneva selbst war in solchen Wohnungen nur noch zu Besuch und vollbringt eine frappierende Erinnerungsleistung. Selbstverständlich sind die Beinchen der Kommode im Korridor schräg und die darauf lagernden Altpapierstapel säuberlich mit Stricken zusammengeschnürt. Natürlich hängen über dem WC die ganz privaten Toilettenbrillen zweier Wohnparteien und stehen in der Küche drei Herde – zwecks Konfliktvermeidung.
„Da lebten wir nach dem Motto: Jeder für sich, Gott gegen alle“, erinnerte sich ein russischer Besucher der Vernissage. Würde ein künftiger Käufer mit einer Stecknadel in eine solche Originaltapete stechen, käme vielleicht ein dahinter lauerndes Gespenst hervor. Diese Arbeit lässt ahnen, was passierte, wenn Alexandra Koneva ihre Spiele ein wenig weiter zum Ernst hin verschöbe.
BARBARA KERNECK
■ „Uns geht es gut“, Galerie Sandmann, Taubenstr. 20–22, bis 24. März
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