: Die Gegenwart der Gegenwart
Gastspiel, die erste: Mit dem Stück „From Poland with love“ schockiert die „Generation Porno“ höchstens durch Schock-Verzicht
In der Bühnenmitte steht eine junge Frau. Schüchtern, aber doch so, als wär’s für den Moment das Einzige auf der Welt singt sie: „It’s a perfect day …“ Ihre Stimme ist hell und ein wenig brüchig. Und in dem Moment, da der Refrain einsetzt und Sänger und Band abfliegen, bleibt sie gelassen. „… I’m glad I spent it with you.“ Aber ein Du ist nicht da. Die junge Frau lässt das Mikro stehen, geht langsam um einen hüfthohen Holzwürfel herum, schnappt sich ein Handtuch und poliert Gläser. Perfekt. Wie jeden Tag.
Ein hinreißender, langsamer und trauriger Moment. „From Poland with Love“ heißt das Stück, mit dem das diesjährige Bremer „Forum für zeitgenössische Dramatik“ eröffnet wurde, ein Gastspiel des Teatr Wybrzeze aus Gdansk. Zeitgenossenschaft ist ein Leitmotiv von Pawel Demiskis Text. Das junge Ensemble übersetzt den Text in kurze Spielszenen – Bilder in einem weiten Bühnenraum. Feste Orte gibt es an dessen Rändern, einen links dann andere rechts außen, die Wohnung des Großvaters, der an weggereister Eltern Statt für die junge Frau sorgt, wie sie für ihn. Und die Wohnung des jungen Mannes, der sich in sie verliebt – wie sie sich in ihn. Und der nach London gehen will. Doch noch kennen sie einander kaum. Er ist Briefträger und in Geldsorgen. Ein paar Złoty für ein Bier hat er gerade noch übrig. Sie stellt ihm die Flasche hin. Er lächelt beinahe. Und erzählt von einem Kumpel, der vielleicht einen Club hat, wo sie vielleicht mal auftreten kann.
Es ist eine schüchterne Begegnung. Von Liebe auf den ersten Blick weit entfernt. Er begegnet ihr auf der Ebene des Traums. In den Hintergrund projiziert karge Häuserfassaden. Singen und London sind zwei Worte für „weg“. Dem „Nach Moskau“ der drei Tschechow-Schwestern sind andere Träume gefolgt. Von „Freunden, die hier bleiben, und mit denen man sich darum wohl fühlt“ ist einmal die Rede. Demirskis zeitgenössischem Polen eignet eine eigentümliche Zentrifugalkraft. Sie treibt die Menschen nach draußen. „Normal“ ist das Wort, um das alles kreist. Aber selbst das ist noch weit weg: „… schließlich muss es doch mal normal werden.“
Seit Ende der 1990er Jahre wurde in Polen viel internationale Gegenwartsdramatik gespielt. Doch mit Stücken wie „Shoppen und Ficken“ oder post-working-class-Texten wie „Disco Pigs“ war kein Staat zu machen. So gehört „From Poland with Love“ zu jenen neuen Texten, die in der nämlichen Inszenier- und Erzählweise andere Geschichten erzählten.
„Generation Porno und andere geschmacklose Theaterstücke“ heißt eine Anthologie, die vor zwei Jahren erschien. Zu „From Poland With Love“ passen allein die Begriffe „Generation“ und „Theater“; kein Analfick, niemand wird von der Mafia verstümmelt. Auch keine Blasphemie. Einmal wird einer zwar aus seinem Rollstuhl gezerrt um krachend auf dem Boden zu landen. Aber der ist ein mieser Zuhälter, ergo: Arschloch, nicht Opfer. Verloren wirken die Figuren, auch verträumt. Ein wenig rat- und hilflos tänzeln sie über den Rand der Puddingschüssel der Apokalypse, die sich ein ums andere Mal zu ihrer kleinen Gegenwart entzaubert. Am Ende geht keiner weg. Und das einzige Stück von Lou Reeds Transformer-Platte, das nicht gespielt wurde ist „Satellite of Love“.
Tim Schomacker