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Archiv-Artikel

Kartoffelschnaps ist Religion

Insider-Tipp: Die Europäischen Theatertage in Bremen begreifen sich als eine Art Messe für Bühnentrends. In diesem Jahr widmet sich das Minifestival Polen. Dort ist eine Dramatikergeneration zu entdecken, die der West-Fixierung entsagt und sich ohne Angst vor Klischees auf den Wodka-Geist beruft. Weil der die postsozialistische Wirklichkeit in einen Taumel versetzt. Oder betäubt?

von Jens Fischer

Lasst uns mit den Polen in Ruhe. Da haben wir schon genug angerichtet. Heute sind das arme Schlucker, vor denen nichts sicher ist, die klauen auch unsere Spargelstecher-, Schlachthof- und Putzjobs. Und lasst uns mit den Deutschen in Ruhe. Die waren Nazi-Bestien, sind heute reich und arrogant. Klischees gibt es auf beiden Seiten. Auch die Verbrechen des 2. Weltkriegs stehen als Barriere da.

Nur Autodiebstähle und Zigarettenschmuggelei gelten als verbindendes Element. Das klingt wie ein Witz, aber solche Stereotypen haben ihre Gründe, die es zu beleuchten gilt. In Kiel gibt es ein Theater, das in deutscher Sprache polnische Bühnenliteratur vermittelt. Der Idee folgt jetzt das Bremer Theater – schuldbewusst. Hatte man in den vergangenen Jahren zum Thema doch nur den lumpenheiligen Ausstattungskitsch des Kreuzberger Regie-Polen Andrej Woron zu bieten.

Zuerst gilt es dem Geräusch von zersplitternden Wodkagläsern zu lauschen. Klingt auch nach Klischee, sei aber keines, sondern generationsübergreifende Tradition. Und Metapher für das Lebensgefühl der Polen. Das behauptet Regisseur Michal Zadara, der die Veranstaltungsreihe „Europäisches Theater: Polen“ eröffnete. Nach seinen Worten ermöglicht der Kartoffelschnaps als Nationaldroge die identitätsstiftende Erfahrung von etwas, „das größer ist als wir: Religion, Geschichte“. Dieses geistig-irrationale Empfinden bringe „Persönlichkeit und Spiritualität in Kontakt“. Und gebäre Erinnerungen – etwa die, dass Warschau heute ausschaue wie jede andere europäische Großstadt, darunter aber die Reste des Ghettos mit ungezählten Leichen liegen. Der Wodka, so Zadara, bringe die Wirklichkeit zum Taumeln, den Widerspruch von Relikten einer uniformen sozialistischen Mentalität und individualisierten Handlungsmustern im rücksichtslosen Spiel der Marktwirtschaft.

Diese Gemengelage eines Landes im Umbruch suchten polnische Regisseure nach der Wende vergeblich in den Stücken von Sarah Kane, Yasmina Reza oder Werner Schwab. Erfolgreicher waren diejenigen, die das Nationalgefühl mit einer Literarisierung des Theaters bei existenziellen Themen aufspüren wollten, dafür die Klassiker von Aischylos, Shakespeare und Goethe zurichteten. Erst seit fünf Jahren würden, so Zadara, junge Autoren dieser West-Fixierung entsagen, wieder aus der spezifisch polnischen Massenkultur schöpfen, sich auf den Wodka-Geist berufen – um im Theater über ihre eigene Welt und mit ihrer eigenen Sprache zu sprechen. Davon weiß man außerhalb Polens wenig. Während die polnischen Regiestars von Festival zu Festival, vom Französischen zum deutschen Staatstheater weitergereicht werden. Deswegen kommen in Bremen die „jungen Wilden“ zu Wort, die heute 20- bis 35-Jährigen, die wissen, dass ihr Land seit 1989 reicher und freier geworden ist, aber jetzt mit einer Arbeitslosigkeit von über 20 Prozent umzugehen hat. Die Nachwuchsautoren werden als „Generation Porno“ klassifiziert, weil sie unter ihren Altersgenossen kaum andere Energien entdecken als Sexgeilheit, Wodkatrunksucht und Emigrationslust. Im Aufstieg und Fall der Hoffnung auf den beglückenden Kapitalismus wird der Zerfall zwischenmenschlicher Beziehungen diagnostiziert. Themen sind Kindesmissbrauch, Neonazis, elternmordende Teenies, illegale Abtreibungen. Die üblichen Desaster also. Aufbereitet mit einer Schwäche für die Persiflage und Leichtigkeit im Spiel mit theatralischen Konventionen. Dabei werden Realismuspartikel zu einer autonomen Bühnenkunst-Realität poetisiert. Man bezieht sich auf das absurde und groteske Theater von Witold Gombrowicz und Slawomir Mrozek, auf die Lesedramen des 19. Jahrhunderts und den Symbolismus der kommunistischen Ära, als nur mittels eines komplizierten Systems von Anspielungen kommuniziert werden konnte.

„Unsere Bewegung formt sich gerade erst“, sagt Zadara. Im Spielplan der etwa 40 staatlichen Bühnen sei sie noch nicht angekommen. An nur fünf Uraufführungen könne er sich für 2004 erinnern. So würden aktuelle Stücke vornehmlich bei Lesungen und von Off-Bühnen öffentlich gemacht. Vier polnische Kuratoren haben für Bremen sechs Werke ausgewählt.

Interessant klingt das, eine sehr willkommene Abwechslung vom standardisierten Spielplanbetrieb, und mit mehr Entdecker-Freude organisiert, als die großen Theatertreffen. Der PR-Etat hingegen scheint außerordentlich knapp bemessen: Hier und da klebt ein Plakat in der Bremer City, kaum größer als DIN-A4, einziges grafisches Element ist ein Hahn, das Logo des Hauses. Und dazu: Sehr viele große Buchstaben. Da muss man schon genau hingucken wollen, um’s überhaupt zu sehen. „Wir wollen nicht den Glamour der großen Festivals“, erklärt Chefdramaturg Joachim Klement. „Wir verstehen uns als eine Dramatikerwerkstatt, möchten Bremen als Ort des Austauschs, der Vernetzung, als Fenster zu europäischen Theatern etablieren.“

Um 96 polnische Künstler in die Hansestadt zu laden, wurden aus dem Fonds der Bremer Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas drei Viertel des 164.00 Euro-Etats finanziert. Er ist doppelt so hoch wie für die letzten Festivals, bei denen die zeitgenössische Dramatik Frankreichs und Spaniens vorgestellt wurde.

Trotz des Ausscheidens der Hansestadt aus dem Kulturhauptstadtzirkus scheint die Zukunft des kleinen Theaterfestes gesichert. Das Theaterinstitut der Niederlande hat bereits angefragt, sich in Bremen präsentieren zu dürfen, wofür man auch das Geld mitbringe. Denn als Messe funktioniert das Forum. Verleger und Theaterleute kommen zuhauf an die Weser, um die Autoren kennen zu lernen. Zwei von Bremen bezahlte Übersetzungen konnten bereits verkauft werden: Tomasz Mans „I I I“ geht als Erstaufführung nach Münster, Michal Walczaks „Bergwerk“ fand einen österreichischen Verlag. Mit den Polen will man was zu tun haben. Na zdrowie!