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Es ist nicht alles Gold, was kotzt

Für seine Fans gilt Mike Patton als der König Midas des extremen Rock – tatsächlich ist kaum jemand an so vielen verschiedenen Projekten beteiligt wie der ehemalige Faith-No-More-Sänger. Ob Underground-HipHop, Noise-Jazz, Death-Metal, Kammermusik oder bei Björk: Patton gurgelt gerne mit

VON ANDREAS HARTMANN

„Welcome to the music world of Mike Patton.“ Mit diesen Worten wird man auf einer der unzähligen Fan-Websites begrüßt, die sich ganz dem Schaffen und Werk Mike Pattons widmen. Popmusikern wird gerne mal zugeschrieben, einen „eigenen Kosmos“ oder eben eine ganze „Musikwelt“ erschaffen zu haben, im Falle von Mike Patton handelt es sich diesbezüglich ausnahmsweise um keine Übertreibung. Der Mann, der in San Francisco lebt, ist zwar erst 37 Jahre alt, kann aber dennoch auf ein so weit verzweigtes und ausuferndes Werk zurückgreifen, dass man für die Einrichtung eines Instituts für Pattonistik plädieren könnte.

Mike Pattons Umtriebigkeit zu verfolgen, ist auch deshalb so schwer, weil von all den vielen Projekten und Platten, bei denen er mitgewirkt hat, kaum etwas unter seinem eigenen Namen erschienen ist. Es gibt zwei Soloplatten von Patton, das ja, doch kaum jemand hat diese je gehört, und diejenigen, sie sie gehört haben, urteilen zumeist, sie seien „mutig“ oder „avantgardistisch“, meinen damit aber: Diese beiden Platten bestehen fast ausschließlich aus Gegurgel und Geschrei von Patton. Man muss sich auch vor Augen halten, wer diese beiden, Ende der Neunziger auf John Zorns Tzadik-Label erschienenen Platten damals gehört hat. Nicht nur Hartgesottene, die das Gekreische einer Diamanda Galas beim Kochen hören, sondern bestimmt auch ein paar Faith-No-More-Fans.

Denn zu der Zeit war Patton noch Sänger von Faith No More. Zehn Jahre lang stand er der Band vor, neben Eddie Vedder von Pearl Jam und Kurt Cobain war er einer der Posterboys der Grunge-Ära. Er war ein Popstar, ein Mädchenschwarm, ein kerniger Typ im Holzfällerhemd und noch nicht der Avantgarde-Zampano, der er heute ist. Mit seiner Band und ihrer Mischung aus Funk und Metal füllte er Stadien, und zu dem größten Faith-No-More-Hit, der Schnulze „Angel“, gaben sich in den Neunzigern wahrscheinlich so einige angehende Ehepaare das Jawort. Für einen Faith-No-More-Fan muss die Konfrontation mit einer von Pattons Soloplatten ähnlich schockierend gewesen sein, als hätte er zufällig sein Idol als Darsteller in einem Porno in einer Analsexszene entdeckt.

Dabei war der Patton, der sich solo als radikaler Extremkünstler gerierte, wahrscheinlich schon damals der echtere Patton. Als es losging mit Faith No More, war er jung, Anfang zwanzig, er übernahm eine Rolle, aus der er irgendwann einfach hinauswuchs und mit der er sich nicht mehr identifizieren konnte. Er lernte John Zorn kennen, den New Yorker Saxofonisten und Avantgarde-Guru, der längst da war, wo er auch hinwollte: Zorn war Künstler und kein Popstar. Er hatte ein eigenes Label, war völlig unabhängig und ignorierte musikalische Grenzen voll und ganz. Patton fand das großartig.

Ihm waren die Schockzustände seiner damaligen Fans also egal, sie waren ihm sogar eher recht. Seine Soloplatten erschienen ungefähr zeitgleich mit dem Ende von Faith No More, sie markierten eine Stunde null. Der Tod seiner Band markierte gleichzeitig den Neuanfang als Extremkünstler, als John Zorns kleiner Bruder, als neuer Frank Zappa, als Musiker ohne Grenzen. Patton erschuf sich neu. Auch seine Vergangenheit schrieb er um, Faith No More gab es eigentlich nie. Plötzlich traten seine Arbeiten mit der abgedrehteren Band Mr. Bungle, die auch schon zu Faith-No-More-Zeiten existierte, in den Vordergrund.

Vor allem aber gründete er mit Ipacec ein eigenes Label und mit Fantômas eine neue Band, deren viertes Album „Suspended Animation“ eben erschienen ist. Wie Patton selbst, kommen auch die anderen Mitglieder aus anderen Bands und widmen sich auch weiterhin diversen musikalischen Projekten. Nur aufgrund dieser wild zusammengewürfelten Biografien ist so etwas wie Fantômas überhaupt möglich. Die Band will schließlich gar keine innere Einheit, will keine Jungsbande sein, die durch dick und dünn geht. Man will das Zerrissene, den Projektcharakter. Außer Patton war einer Schlagzeuger bei Slayer, der andere kommt von den Melvins, und der Vierte war schon bei Mr. Bungle dabei. Jeder trägt etwas mit in die Band, die nichts aufsaugt wie ein Schwamm, sondern auskotzt wie der Junge auf der Label-Website von Ipacec den Werbeslogan „Ipacec: making people sick“. Metal, Score-Elemente und Pattons Gesang lassen „Suspended Animation“ wie ein Comic erscheinen, und nach dem Hören der dreißig Nummern der Platte fühlt man sich so, als habe man sich gerade eine Dreiviertelstunde lang pausenlos durch das Fernsehprogramm gezappt.

Fantômas ist jedoch auch nicht viel mehr als ein Bildatlas der Welt des Mike Patton. Man bekommt einen Eindruck von ihr. Wer sie freilich genauer kennen lernen will, muss sie bereisen. Er muss die letzte Platte von Björk hören, auf der Patton mitgurgelt. Er muss sich etwas von Maldoror besorgen, dem gemeinsamen Projekt von Patton mit dem japanischen Krachmacher Merzbow. Patton hatte auch Gastspiele bei der brasilianischen Death-Metal-Band Sepultura, der japanischen Krachrockband Melt Banana und immer wieder bei John Zorn.

Während der Reise in Pattons Welt wird man auf Namen wie Hemophiliac, Tomahawk und Dillinger Escape Plan stoßen, auf Jazz, Noise, Rock, Death-Metal und Kammermusik. Jedoch ist nicht alles Gold, was Patton anfasst, natürlich nicht, dafür fasst Patton viel zu viel an. Für seine Fans ist er zwar der König Midas des extremen Rock, doch wer so viel macht wie er, macht eben vieles auch nur halb gut. Manchmal hat man das Gefühl, dem Mann ginge es ohnehin weniger um das Ergebnis seiner Arbeit selbst als um das Ausprobieren, das Einfach-mal-Machen. So ist vor kurzem auch eine Platte von ihm zusammen mit den Turntable-Künstlern und HipHoppern X-Ecutioners unter dem Titel „General Patton vs the X-Ecutioners“ erschienen. Die Platte ist gut, sie funktioniert, aber nicht wegen, sondern eher trotz Patton. Die X-Ecutioners verstehen halt etwas davon, Platten schnell ineinander zu blenden, ohne dabei den Groove zu vernachlässigen. Das Gesinge von Patton wirkt dazu eher störend. Doch immerhin: Er war dabei, er, Mike Patton, früher Popstar, heute Künstler, hat HipHop gemacht. Auch noch. Jetzt kann er sich wieder etwas anderem widmen, der Mann schläft nie. „Peeping Tom“ heißt sein neues Projekt, die Platte erscheint noch in diesem Jahr, viele andere unter seiner Beteiligung ebenso.

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