: Tag der offenen Falltür
Den bundesweiten „Girls’ Day“ kann man doof finden oder nicht. Der Skandal ist, dass bei dieser PR-Aktion eine Arbeitswelt in Aussicht gestellt wird, die es für die meisten Jugendlichen nie geben wird
VON ANJA MAIER
Isabell kann nicht so recht erklären, warum sie heute hier ist. Die 15-jährige Realschülerin ist eines von vier Mädchen, die sich am bundesweiten „Girls’ Day“ im Berliner Redaktionsgebäude der taz eingefunden haben. Die Frage nach ihrem Berufswunsch, nach einem Job, der ihr Herz höher schlagen ließe, lässt sie erst mal eine Weile im Raum stehen. Ihre blauen, stark geschminkten Augen suchen an der Zimmerdecke nach einer Antwort. „Ich habe einen Praktikumsplatz beim Friseur“, sagt sie dann.
Im weiteren Gesprächsverlauf wird sich herausstellen, dass es sich da um drei Tage in den Pfingstferien handelt. Isabell wird dann wahrscheinlich Haare zusammenfegen, die Kaffeemaschine bedienen und am dritten Tag einer Kundin die Haare shampoonieren dürfen.
Dass aus diesem Kurzengagement ein Ausbildungsvertrag wird, wenn Isabell in diesem Sommer ihren Realschulabschluss macht, ist ihr zu wünschen. Denn es gibt wenig Trostloseres als ein Mädchen in den Klauen der Pubertät, das bei all dem Stress mit Jungs, Eltern und Schule nun auch noch eben mal verantwortlich entscheiden soll, was aus ihm „mal werden soll“.
Dass ihr bei dieser Entscheidung dieser „Girls’ Day“ etwas gebracht hat, darf getrost bezweifelt werden. Ihren taz-Besuch begründet sie damit, sie wolle hier mal sehen, „aus was Zeitung besteht“.
Mag sein, dass es bei der Polizei anschaulicher zugeht als bei der taz – dort Blaulicht und Leitzentrale, hier klingelnde Telefone und Morgenkonferenz. Und mag auch sein, dass von den teilnehmenden 125.000 Mädchen tatsächlich eines beschließt, nach der Schule zu den bundesweit 2 Prozent Kfz-Mechanikerinnen gehören zu wollen. Aber, he, wovon ist hier die Rede? Der fünfte „Girls’ Day“ ist vor allem eine wohlfeile PR-Aktion von Unternehmen und Bundesregierung, ein Tag, aus dem für sie keinerlei Verbindlichkeit, aber umso mehr Renommee erwächst.
Die Frage stellt sich: Leben diese vier „Girls“, bei deren Anblick sich der Kollege natürlich nicht seine anzügliche Bemerkung verkneifen kann, nicht im dritten Jahrtausend statt in den Sechzigern, als Vattern bei VW genug für die ganze fünfköpfige Bande verdient hat und Muttern ihre Spülhände verarztete? Sind sie nicht selbstbewusste junge Frauen, denen man nun wirklich nicht mehr live vorführen müsste, dass auch Frauen Kraftwerksanlagen fahren, Autos reparieren und Nobelpreise gewinnen?
Gilt nicht uneingeschränkt, was Familienministerin Renate Schmidt (SPD) im Vorfeld des „Girls’ Day“ gesagt hat? Dass es nämlich „überholt“ sei, „bestimmte Berufe typisch männlich oder typisch weiblich“ zu besetzen? Ja und nein. Selbstverständlich weiß Isabell, dass es auch andere Berufe als Bürokauffrau, Arzthelferin, Friseurin und Verkäuferin gibt.
Und doch gehört sie zu dieser erstaunlich großen Mehrheit, die – was wohl? – „Friseurin oder Bürokauffrau“ werden wollen. Warum nur? Auf Nachfrage antwortet die Tochter einer Verkäuferin und eines Feuerwehrmannes: „Ich will mit Menschen zu tun haben.“
Ob diese Menschen, also die Gesellschaft, wiederum mit ihr zu tun haben wollen, steht auf einem anderen Blatt. Eine gerade veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass es bei der Jugendarbeitslosigkeit „in absehbarer Zeit keine Besserung geben wird“. Die Quote scheine sich bei 10,6 Prozent zu verfestigen, möglicherweise gar noch zu steigen. Damit liegt sie nur 1,3 Prozentpunkte unter der der bei Erwachsenen herrschenden Arbeitslosigkeit.
Hinter jedem dieser über 500.000 Mädchen und Jungen zwischen 15 und 24 Jahren steht ein Kind und seine Geschichte; auch wenn es die Geschichte des 19-Jährigen ist, der mit der Gesellschaft abgeschlossen hat und nun lieber dealt als arbeitet. Die Ausnahme.
In aller Regel sagt die Zahl 500.000 etwas über fehlgeschlagene Bildungs- und Wirtschaftspolitik. Und über den zunehmenden Gerechtigkeitsverlust im Verhältnis von Männern und Frauen, Jungen und Mädchen. Wo es immer weniger zu verteilen gibt, dort ist die Botschaft klar: Du bist nur ein „Girl“, stell dich hinten an.
Dass genau diese „Girls“ nun sanft gedrängt werden, sich wenigstens einen Tag lang eine Berufswelt anzuschauen, in der mal keine Locken gedreht werden, kann man doof finden oder auch nicht. Es bleibt ein Anschauungsunterricht, aus dem den Mädchen keinerlei echte berufliche Perspektive erwächst.
Immerhin, Isabell hat der Vormittag bei der taz eine Erkenntnis gebracht: „Das hier ist nicht so richtig meine Sache.“