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Archiv-Artikel

Ämter sollen nachkontrollieren

FALL CHANTAL Hamburg wertet Akten von 1.400 Pflegefamilien aus und findet rund 50 Hinweise auf Suchtprobleme oder Straftaten. Geplante „Jugendamts-Inspektion“ stößt bei Gewerkschaft auf Skepsis

Den Allgemeinen Sozialen Diensten fehlt Personal. Im Januar waren 26 Stellen offen

Nach dem Tod von Chantal hat die Hamburger Sozialbehörde 1.391 Akten von Pflegekindern überprüfen lassen. Es fand sich kein weiterer Fall, in dem Pflegeeltern Methadon-Substituenten sind. Das elfjährige Mädchen war im Januar gestorben – sie hatte nur einmal eine Methadontablette eingenommen, wie die Obduktion ergab. In den Unterlagen gab es auch 40 Hinweise auf mögliche Suchtprobleme und 13 auf Straftaten, darunter allerdings auch Schwarzfahrdelikte.

In 112 weiteren Fällen gab es in den Akten Anhaltspunkte etwa für Erziehungsprobleme, Gewalt oder eine schwierige Wohnsituation. Alle insgesamt rund 160 Hinweise wurden bereits in der Vergangenheit geprüft, sagt Sozialbehörden-Staatsrat Jan Pörsken. Dennoch sollten die Ämter ihnen binnen sechs Wochen noch einmal nachgehen. Es soll erneut Hausbesuche geben.

Man habe die Aufmerksamkeitsschwelle sehr niedrig gehängt, sagte Pörksen. So findet sich bei den aufgenommenen Hinweisen auch der Fall eines bereits verstorbenen alkoholkranken Pflegevaters oder eines, der mal laut gefeiert hatte. In zwei Akten fand sich allerdings Verurteilungen gegen das Betäubungsmittelgesetz, in einem Fall war die Bewährungsstrafe des Pflegevaters gerade erst abgelaufen. Der Mann muss jetzt ein Drogenscreening machen.

Der Akten-Check ist nur eine von vielen Maßnahmen, die Chantals Tod ausgelöst hat: Noch in diesem Jahr möchte SPD-Sozialsenator Detlef Scheele eine „Jugendamts-Inspektion“ einführen. Personal haben die Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) mit rund 330 Stellen seiner Auffassung nach genug.

Das sieht ver.di anders. „Viele Kollegen sind überlastet, in einigen Regionen hat ein ASD-Mitarbeiter 90 bis 100 Fälle“, sagt Fachreferentin Sieglinde Friess. Man müsse für eine ehrliche Personalbemessung auch Krankheit und Urlaubszeiten mit einberechnen.

Dass Mitarbeiter knapp sind, räumt auch Staatsrat Pörksen ein. Waren im September noch acht Stellen frei, waren es zu Jahresbeginn schon 26. „Wir finden nicht genug qualifiziertes Personal“, sagt Pörksen, der nun an Fachhochschulen werben will.

Das liegt laut Friess auch an den Reaktionen der Politik. Der frühere CDU-Senat hat nach dem Tod der kleinen Jessica in 2005 die Strukturen beim ASD so verändert, „dass die Führung am Schluss immer weiß, wer der verantwortliche Mitarbeiter ist“. Die Idee, jetzt mit der Jugendamtsinspektion eine neue Kontrollinstanz zu schaffen, nennt Friess eine „typisch politische Antwort“. Wichtiger sei, dass der ASD wieder direkten Kontakt zu den Familien habe. KAIJA KUTTER