crime scene
: Po, Seine, Rio

Kriminalromane glänzen in den seltensten Fällen durch eine besonders elegante oder gar virtuose Sprache. Im Falle der Kriminalliteratur ist dieser Mangel an Spannung, was den Stil betrifft, zu verschmerzen, gewöhnlich sorgt ja die Geschichte selbst für den fiebrigen Wunsch, unbedingt weiterlesen zu müssen. Eine elaborierte Sprache, die selbst einige Aufmerksamkeit fordert, könnte dem Lesevergnügen zudem eher hinderlich als gedeihlich sein. Mit der zunehmenden Menge an Krimis erweist sich inzwischen allerdings jeder zweite als unlesbar. Nicht nur der hölzerne Stil, die schwerfällige Sprache, auch die standardisierten Module der Creative-Writing-Kurse verdrießen; die stets quengelige Ehefrau des Ermittlers, falls die Ehe nicht gescheitert und eine schwierige Beziehung mit der exzentrischen Freundin ansteht; schließlich die Volkshochschulkurse in italienischer, wahlweise spanischer Küche, diese ganze Metaphysik der Spaghetti, weil der Commissario ein Kenner und Genießer ist.

Man ist also entzückt, beherrscht der Autor sein erzählerisches Handwerk, liefert er glaubwürdige Dialoge, die der Geschichte die nötige Würze geben und sie dabei ohne Eile, aber doch erfreulich dynamisch in ihrem Fortgang vorantreiben. Valerio Varesi ist mit „Der Nebelfluss“ ein solcher Kriminalroman gelungen. Zugegeben, sein Commissario Soneri liebt die italienische Küche und selbstverständlich hat er auch eine reichlich exaltierte Geliebte. Doch das sind zu vernachlässigende Fehler, da es Varesi gelingt, seinen Kriminalfall in das überzeugend geschilderte Landschaftsgemälde der norditalienischen Poebene einzubetten, das auch ein Historiengemälde ist. Der Po hat Hochwasser, und während das Land in den Fluten versinkt kommen zwei Brüder gewaltsam zu Tode. Commissario Soneri ermittelt, dass es sich um eine Abrechnung handelt, die ihren Grund in der Zeit des Faschismus hat. Als er den Mörder schließlich stellt und fragt, warum er denn ganze fünfzig Jahre mit seiner Rache gewartet habe, gibt dieser ihm die denkwürdige Antwort: „Weil ich zuerst leben wollte.“

Ihr Leben gelebt haben die alten Damen, die im zehnten und elften Pariser Arrondissement reihenweise ermordet werden. Der trotz einer reich und raffiniert geführten Sprache großartig lakonische Tonfall des in Paris lebenden argentinischen Schriftstellers syrischer Abstammung, Juan José Saer, packt einen auch noch in dem Moment, in dem man feststellt, dass die Geschichte dieses Serienmords eine leider etwas verkrampfte Konstruktion ist. Drei Intellektuelle, Männer selbstverständlich, um die vierzig, also „in der Blüte ihrer Jahre“, sitzen an einem heißen Spätsommerabend in Buenos Aires zusammen. Einer von ihnen, Pichón, ein Name, der wohl an Thomas Pynchon erinnern soll, ist aus Paris angereist und berichtet von dem dortigen Kriminalfall. Das Rätsel um den Mörder verquickt sich mit dem Rätsel um den Autor eines geheimnisvollen Manuskripts, das die Männer im Nachlass eines verdienten argentinischen Dichters gefunden haben, das dieser aber sowenig geschrieben hat, sowenig wie der von der Polizei überführte Mörder tatsächlich der Damenschlächter ist.

Irritierend ist dabei, mit welcher Akribie Saer den Tod der alten Damen schildert, die Folterungen und Vergewaltigungen. Da die Taten zunächst keiner Figur und am Ende gar der falschen zugeschrieben werden, meint man geradezu den Grund für das Morden den Opfern zuschreiben zu müssen. Der Schlüsselsatz, der die Kontextlosigkeit der Grausamkeiten erklären soll, findet sich natürlich im geheimnisvollen Manuskript und besagt: „… dass einzig das Phantom Gewalt erzeugt“. Doch er kann Saers Fehlkonstruktion nicht entschuldigen.

BRIGITTE WERNEBURG

Valerio Varesi: „Der Nebelfluss. Commissario Soneri sucht eine Leiche“. Deutsch von Karin Rother. Kindler, Reinbek bei Hamburg 2005, 288 Seiten, 18,90 EuroJuan José Saer: „Ermittlungen“. Aus dem Spanischen von Hanna Grzimek. DuMont, Köln 2005, 191 Seiten, 19,90 Euro