: Unerbittlich gute Laune
ÜBERGEWICHT Der Mistkerl hat die Lacher auf seiner Seite: „Fettes Schwein“ von Neil LaBute, dem Spezialisten der Boshaftigkeit, in der Komödie am Kurfürstendamm. Mit möglichen Anschlussstellen zum Fitnesswahn
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Oben bleiben. Nur nicht herausfallen aus dem Muster: Erfolg haben, fit sein, schön sein und witzig. Das ist, so belehrt Carter seinen Freund Tom, das Wichtigste im Leben. In schwarzen Farben malt er ihm die soziale Kälte aus, wenn man gegen die Regeln verstößt und aus diesem Netz fällt. Dann bist du „Sondermüll“, so nennt es Carter, so nennt er die Armen, Alten, Kranken, zu denen er nie gehören will. Oder eben auch die Dicken. Und Toms Freundin Helen ist dick. Darum dreht sich das ganze Vierpersonendrama „Fettes Schwein“ von Neil LaBute, das jetzt in der Komödie am Kurfürstendamm von Folke Braband inszeniert wurde.
Carter tarnt seine Rede als wohlmeinenden Ratschlag, aber eigentlich ist sie eine Drohung und Erpressung. Wir, deine Arbeitskollegen – und andere Freunde hast du nicht –, werden dir das Leben mit unserem Spott und Hohn zur Hölle machen, wir werden dich ausschließen und dich und deine Helen diskriminieren. Aber Carter ist auch ein Meister des zynischen Witzes, der ständig unerwartet aus der Hüfte schießt. Oliver Mommsen spielt ihn strahlend, wendig, von unerbittlich guter Laune. Tatsächlich mit Spielzeugpistolen und Fotohandys aus der Hüfte schießend, macht er Carter, den Scheißkerl, zur Hauptfigur in der Inszenierung von Folke Braband. Carter, der Gemeine, hat mit seinen pubertären und frauenfeindlichen Witzen den ganzen Abend über die Lacher auf seiner Seite. Und gelacht wird viel und gerne in der Komödie am Kurfürstendamm, dafür kommt man her, das ist garantiert.
Eine Witzmaschine
Für Neil LaBute, einen Spezialisten des Abgründigen und der Boshaftigkeit, gehört „Fettes Schwein“ (von 2004) zu seinen harmloseren Stücken. Gemein ist allerdings die Anlage des Textes selbst, macht sie es doch so schwer, der Witzmaschine Carter zu widerstehen. Man weiß als Zuschauer natürlich die ganze Zeit über, dass dieses Lachen über die Dicke Mist ist, verletzend, ungerecht, zerstörerisch; aber man findet keine Gegenwehr. So wenig wie Tom, der am Ende vor dem Druck seiner Gruppe kapituliert.
Andreas Schmidt spielt Tom. Blass, schlaksig, immer ein bisschen leiser als die anderen, gelingt es ihm zwar, Toms Schwäche glaubhaft zu verkörpern, mehr aber auch nicht. Dass er eigentlich ein erfolgsverwöhnter Mensch ist, sieht man weniger. Der soziale Raum, in dem die Figuren angesiedelt sind, irgendwo in den oberen Etagen eines Geschäftsviertels, er bleibt blutleere Behauptung.
Marie Schöneburg spielt Helen, und man nimmt ihr jede Silbe des toughen Humors ab, mit der ihre Figur zu jedem ihrer Pfunde steht. Helen ist klüger als Tom, aus bitterer Erfahrung vorausschauender, realistischer, fordernder. Die fröhlichen Farben, in die sie sich kleidet, klar, die sind immer etwas dick aufgetragen. Aber dass sie, die auffällige Erscheinung, damit offensiv umgeht, macht auch ihre Stärke aus. Dafür bekommt Helen/Schöneburg immer wieder Szenenapplaus. Wie man überhaupt in diesem alten Westberliner Theater viel öfter als anderswo einzelne Szenen beklatscht und sich des Einvernehmens mit den anderen Zuschauern versichert, das hat etwas sehr Familiäres.
Das macht Spaß. Gerade auch deshalb ist es schade, dass der Abend im Ganzen doch sehr mager bleibt. Schon Neil LaButes Geschichte ist etwas dünn; die möglichen Anschlussstellen zum Fitnesswahn, zur Leistungsgesellschaft, zum Erfolgszwang, zu den moralischen Imperativen des Gesundheitssystems, zum Einvernehmen über die Codes, wo man wie aufzutreten hat – sie werden in dieser den Text nur eins zu eins umsetzenden Inszenierung nicht genutzt. Dabei hätte etwas mehr Herausforderung für die Hirnzellen dem Unterhaltungswert keinen Abbruch tun müssen; und das Böse etwas mehr herauszukitzeln, das ja nicht nur in der Figur von Carter angelegt ist, sondern bei Neil LaBute als ein Schmierstoff des sozialen Zusammenhalts angedeutet wird, hätte dem Abend auch etwas mehr Spannung geben können.
„Wer sagt denn, dass wir auf der Welt sind, um nett zu sein“, fragt Carter einmal Tom, um ihm Helen auszureden – und eigentlich, um Tom für sich selbst als Opfer zu behalten. Aber diese Inszenierung ist nett zu allen.
■ Bis 1. April in der Komödie am Kurfürstendamm