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Archiv-Artikel

Wer in den Harz will, zum Hexentanz …Der Teufel als Baumeister

Geduckt liegen die Häuser im Harz und lauern, als würden sie auf den düsteren Herrn und Meister warten. Immer noch. Aber rund um den Brocken begegnet man dem Leibhaftigen tatsächlich auch auf Schritt und Tritt. Man muss nur sehen wollen. Ein Reisebericht in fünf Etappen von Markus Flohr

Wer in den Harz will, zum Hexentanz, muss tief hinein in die norddeutsche Einöde. Eine gute Autostunde von Hannover aus auf der A7 nach Süden fahren, oder von Göttingen gen Osten. Bei der Abfahrt Seesen kündigt er sich an durch Wegweiser, auf denen „Bad Harzburg“, „Herzberg“, „Goslar“ oder „Osterode“ steht. Die Landschaft drumherum ist sanft hügelig.

Die kleinen Städte legen sich wie eine Kette an den Rand des Gebirges. Sie sind verschlafen, öd’ und dunkel. Jedes zweite Haus hat eine Fachwerkfassade und ist mit schwarzgrauen Schieferschindeln gedeckt. Hinter den Fenstern hängen ordentliche Gardinen. Aus der Mitte der Siedlung ragt ein mächtiger Kirchturm, eine Burg, ein Schloss, in Goslar gar eine Kaiserpfalz. Beim Bäcker am Marktplatz gibt es Brot und Brötchen zu kaufen, Kaffee, Süßkram. Und kleine Hexen aus Holz.

Geschwungene Landstraßen ordnen die Gegend, auf den Hügeln thronen Bäume, ein paar Flüsse teilen das Land. Wie eine dicke, massive Beule ragt hinter allem der Harz empor. Seine dicht bewaldeten Abhänge steigen steil auf. Ihre Tannen färben selbst den Himmel dunkelgrün.

Die Menschen hier erzählen sich seit Jahrhunderten, hinter ihren Fachwerkfassaden, Sagen und Märchen über Riesen, Zauberer, Waldwesen, Schätze im Stein und Hexen. Und sie behaupten, dass nur der Leibhaftige selbst der Baumeister dieses Ortes gewesen sein können. Sie behaupten es mit Recht.

Häuser verschwinden

Am südlichen Fuß des Harzes, in einem langen Streifen von Orten zwischen Osterode und Sangershausen, leben die Menschen seit jeher mit einem Furcht erregenden Phänomen. Von einem Moment auf den anderen beginnt der Boden auf einem kleinen Fleck, vielleicht gerade so groß wie ein Haus, vielleicht wie ein ganzer Marktplatz, zu wackeln und zu bröckeln. Alles schaukelt und zittert.

Das Erdreich sackt unter Donnern und Getöse in sich zusammen und verschlingt, was sich darauf befand. Sei es ein Haus, sei es eine Straße, eine Burg, oder nur eine Weide mit Vieh. Was bleibt nach dem Spuk, ist ein tiefes Loch im Boden, das einem Krater gleicht, aber keiner ist.

Wie feine und grobe Narben durchziehen diese Löcher, welche die Menschen „Erdfälle“ genannt haben, das ganze Gebiet am Südrand des Harzes. In manchen steht Wasser, andere sind zu Abraumhalden geworden. In vielen Orten wissen die Menschen, dass hier der Teufel sein grausames Spielchen mit ihnen treibt, indem er ein Haus, eine Weide oder eine Kirche nach der anderen in einem Erdfall versinken lässt.

In der Stadt Herzberg zum Beispiel stand vor langer Zeit in der Mitte der Stadt ein Schloss, das ganz wie es war in einem großen Erdfall versank. Die Herrin des Anwesens hatte eine umher wandernde Hexe schroff am Tor abgewiesen – die verfluchte das Schloss daraufhin. Heute ist in der Mitte von Herzberg kein Schloss mehr, sondern ein großer See, der Jues.

Satans Schloss

Auf dem Dach des Harzes hat der Teufel noch andere Spuren hinterlassen. Der Brocken selbst ist ein Pluton, was bedeutet, dass an dieser Stelle ein Magmapropfen aus dem Erdinneren aufgestiegen ist und die Kruste durchbrach. Es entstand dabei teuflisch hartes Gestein, Granit nämlich. Rund um den Gipfel des Hexentanzplatzes finden sich heute Abbaustellen. Und andere geologische Erscheinungen, die dort erdacht wurden, woher auch das Magma kam.

Unweit des Gipfels, in der Hochebene, die man Brockenfeld nennt, türmen sich auf einem ungefähr 1.000 Meter hohen Berg massive Steinblöcke zu einem Turm inmitten von Baumwipfeln auf. Der Berg heißt Achtermannshöhe, die Steinformation Breitesteinklippen.

Der Teufel schloss hier dereinst, so erzählen die Menschen sich, eine Wette mit einem mutigen Mann ab. Der Finsterfürst hatte es auf die Seele des Oberharzers abgesehen, der aber spottete über ihn nur: „Wenn du mir in einer Nacht auf dem Gipfel der Achtermannshöhe ein Schloss errichtest, soll meine Seele Dein sein“.

Als der Satan den letzten Trittstein setzen wollte, er hatte die ganze Nacht gebaut, krähte der erste Hahn. Da zerstörte er in rasender Wut das Gebäude. Nur den Trittstein, der heute die Klippen bildet, den ließ er stehen.

Das Brockengespenst

Dass der Brocken in der Nacht dem Teufel gehört, ist bekannt. Dass es auf dem Gipfelplateau auch tagsüber spukt, dagegen eher nicht. Immer kurz vor Sonnenuntergang, und nur wenn man die Sonne auch wirklich untergehen sehen kann, taucht auf dem Brocken das Brockengespenst auf.

Es nimmt äußerlich stets die Form der Menschen an, die seiner gewahr werden. Es ist dabei aber zehnmal so groß wie sie. Ist es einmal da, verfolgt es seine Opfer auf Schritt und Tritt, wie ein riesenhaftes Spiegelbild, ein überlebensgroßes Double.

Erst wenn die Sonne vollständig im Horizont versunken ist und die sanfte Gipfelnacht sich mit ihrer Dunkelheit über den Brocken gelegt hat, ist das Brockengespenst wieder verschwunden. Die arme Seele, die hier umherspukt, ist übrigens die einer alten Frau, die Besucher vom Brocken fern halten will, um sie vor des Teufels Einfluss zu schützen.

Manche Naturforscher behaupten zwar, das Brockengespenst sei nicht mehr als eine Luftspiegelung, die beim Sonnenuntergang entstehende Schatten gegen Wolken abbildet. Aber das ist natürlich Unsinn. Genauso wie der Glaube an die Walpurgisnacht.

Von Sorge nach Elend

Es gibt ein Tal im Oberharz, das liegt auf halber Höhe des Brockengipfels und trägt ein schweres Erbe. Am Eingang des Tals liegt ein Dörfchen, in dem noch immer 200 Seelen ausharren, die ihrem eigenen Namen tapfer trotzen. Sie müssen täglich trotzen, denn sie leben nun einmal in: Sorge.

Dieses Tal ist so eines, in dem sich die Äste der Fichten und Tannen so hoch in den Himmel recken, dass sie ihn dunkelgrün färben. Zwischen den Stämmen kleben selbst im Sommer Nebelschwaden, alles ist feucht, frisch und verschwommen. Man sieht nicht genau, wohin der Weg führt, oder zu wem. Kein Wunder, das dieses Tal bereits mit Sorge beginnt.

Lange konnten die Menschen hier nur vom Holz oder den Erzen im Boden leben. Oder davon, Besucher in den dunklen Wäldern auszurauben. Im 16. Jahrhundert baute man am oberen Ende des Tals, nicht weit von Sorge, eine Sägemühle. Eine Eisenverhüttung nahm in unmittelbarer Nähe ihren Betrieb auf. Als die Räuber der Gegend alsbald die neue Mühle ausraubten, warfen sie den armen Müller brutal ins Räderwerk hinein. Kurz vor seinem Exitus schrie der heraus: „O Elend, o Jammer!“

Der Ort, der sich seitdem um die alte Mühle, in diesem Tal, oberhalb des Fleckens Sorge gebildet hat, bekam so seinen Namen. Er heißt seitdem Elend.