: Schön dick auftragen!
Geschichten aus der Produktion (3): Die Berliner Fabrik Kryolan stellt Filmblut, Puder oder auch Camouflageschminke her. Als Kunden hat man Theater, Filmfirmen – und auch ein paar Armeen
VON ANDREAS BECKER
Wo und was wird in Berlin heute überhaupt noch produziert außer Dienstleistungen? Nun, es gibt zum Beispiel noch den Sektor Simulation, vertreten seit Ende 1945 durch die Firma Kryolan in der Weddinger Papierstraße. Am Ende der Straße leuchtet der Firmenname an einem neuen Gebäude, das in diesem Jahr bezogen wird, daneben eine große Maske. Kryolan ist einer der weltweit größten Anbieter für Theater- und Filmschminken und vor allem berühmt für sein Kunstblut.
Im Altbau belauscht man zunächst einen kleinen Streit zwischen einer Sekretärin und einem Telefon-Händler. Die Schreibtische stehen dicht an dicht. Man merkt, dass auf dem Simulationsmarkt einiges los ist. Dann empfängt einen gut gelaunt ein älterer Herr im weißen Laborkittel. Der Chef und Gründer von Kryolan, Arnold Langer. Tatsächlich erzählt einem Langer dann zunächst, ohne dass man danach gefragt hätte, von den letzten Kriegsmonaten bei der Wehrmacht. Irgendwie hatte Langer wohl ziemliches Glück. Einmal sollte er mit seiner Kompanie in eine Schlacht geschickt werden, erreichte aber den Bahnhof nicht rechtzeitig. Die meisten, die den Zug kriegten, kamen nicht zurück.
Nach dem Krieg hatte Langer als Chemiker die Idee, zunächst Pflegekosmetika und dann auch Theaterbedarf für die wieder eröffnenden Berliner Bühnen herzustellen. Er bekam eine Lizenz von den Alliierten. Auch in Ostberlin war Kryolan mit einer eigenen Firma vertreten, wurde aber später von der staatlichen Berlin Kosmetik geschluckt. Bis in die Sechziger hatte man noch Konkurrenten in Berlin und Hamburg, heute beherrscht man den Markt. Hat sogar eine Filiale in San Francisco, eine kleinere Produktion in Polen und ist stark in Asien vertreten. In Berlin arbeiten 110 Leute bei Kryolan.
Der Unterschied zwischen Alltagsschminke und Theaterschminke besteht vor allem im Pigmentanteil. Der beträgt normalerweise nur 10 bis 15 Prozent, auf der Bühne aber bis über 50 Prozent. Darauf kommt Puder zur Fixierung, weil die Schminke wegen des hohen Fettanteils verlaufen würde. Vor allem die Camouflageschminken werden viel verlangt. Sie verdecken alle Hautveränderungen wie Feuermale, Weißflecken, Besenreiser, Altersflecken, Leberflecken, Akne- und sonstige Narben, Augenringe oder Tätowierungen. In der Broschüre der Kryolan-Marke Derma-Color sieht man beeindruckende Vorher-nachher-Fotos. Die Nachfrage vor allem aus Asien ist groß, weil andere Hauttypen andere und oft mehr Schminke brauchen.
Kryolan liefert nicht nur fürs Theater – große Mengen Filmblut verbrauchte die Babelsberger Produktion „Enemy at the Gates“, der lustige Stalingradfilm, der sogar bei der Berlinale lief. Das Theater ist aber ein wesentlich besserer Kunde als der Film. Hier muss halt jeden Tag neu geschminkt werden. Die Weddinger Firma liefert auch Tarnmittel an mehrere Armeen, wie die von Südafrika, der Türkei oder den Niederlanden. Die blassen Holländer brauchen so viel Schminke, dass sie sie selber aus großen Fässern abfüllen, wenn sie sich im Wald verstecken wollen. Für Wüstenarmeen gibt’s extra Sandfarben. Auch die Unfallsimulation ist im Angebot. Sogar ein Koffer für Bestatter, mit allem, was man für die Leichenaufbereitung braucht, inklusive einer flüssigen Schminke, extra entwickelt für tote Lippen.
„Wenn ich die Farben rechne, haben wir allein 100 Sorten Blut. Der eine möchte es lila haben, der andere knallrot, der eine will es sehr natürlich.“ Die Staatsoper wollte unlängst für eine Aufführung ein spezielles Blut für Eunuchen haben, das besonders schnell trocknen musste, um nicht abzufärben. Man hat auch Blutkissen, die man unter der Kleidung trägt, oder Blutkapseln, auf die man bei Untergangsfilmen beißen kann. Bollywood verlangt andere Blutfarbtöne als Hollywood. All das hängt auch ein wenig von der Mode ab, erklärt Langer. Früher habe man bei einer „Butterfly“-Aufführung die Chinesen noch stark gelb geschminkt, heute wirke so etwas lächerlich. Auch die arabische Frau, die anscheinend gern dick aufträgt, hat die Theaterschminke aus Berlin entdeckt. Nach Dubai und Saudi-Arabien, Syrien und Libanon liefert man. Auch geheime Versuche, aus Aserbaidschan Schminke in den Iran zu schmuggeln, gab es schon.
In der Produktion arbeitet man mit Gerätschaften, die wie kleine Druckereipressen aussehen. An den Walzen stehen Arbeiter und nehmen mit dem Spachtel Schminke ab. Es riecht angenehm. Auf einer Walze ist es grasgrün, für lustige Clownsgesichter oder für Marsmenschen. In großen blauen Fässern mit Aufschriften wie „Transparent Blut Dunkel“ lagert der künstliche Lebenssaft. Langer steckt seinen Finger in ein Blutfass, das Blut tropft ihm vom Finger, beim Arzt würde er sicher behandelt.
Eine Arbeiterin, die schon in der DDR Blut herstellte, erzählt von Unterschieden zwischen der Blutkonsistenz in Ost und West. Im Sozialismus wählte man gern besonders flüssiges Blut, das schön gruselig auf die Bühne tropfte. In der Puderproduktion gibt es etwa 50 verschiedene Grundarten. In speziellen Mikromühlen wird besonders fein gemahlen für besonders hübsche Augenschatten, erzählt der Chef.
Die Produktionsräume sind beengt. Das wird besser, wenn man demnächst den Neubau bezieht. Bis vor 15 Jahren arbeitete der heute 84-Jährige als Chefchemiker in der Entwicklung und Forschung. Nachfolger als Firmenchef ist sein Sohn, seine Frau arbeitete als Prokuristin. Langer hat selbst eine Schminkfibel geschrieben, die er einem zum Abschied schenkt. In der Fibel findet man diverse Schminkvorschläge mit Fotos. So zum Beispiel „ältere Dame jung“, „junge Dame alt“, oder auch Hexen, Naturburschen, Teufelsweiber, ländliche Naive und Punks. In der Simulationshilfsmittelfabrik werden eigentlich lauter Dinge gefertigt, die helfen sollen, die Menschen so aussehen zu lassen, wie es unserem Ideal oder Klischee entspricht. Eine Aufgabe, die immer wichtiger wird.