: Yorck 59 bleibt – hartnäckig
Seit 18 Jahren gibt es das linke Hausprojekt in der Yorckstraße. Die BewohnerInnen wehren sich kreativ gegen den neuen Eigentümer. Weil sie klug taktieren, könnten sie Erfolg haben
VON FELIX LEE UND CHRISTOPH VILLINGER
1987 gilt als die Geburtsstunde des revolutionären 1. Mai in Kreuzberg. Damals, vor 18 Jahren, gelang es Autonomen, für eine halbe Nacht die Polizei aus dem SO-36-Kiez zu vertreiben und tatsächlich so etwas wie eine Revolution heraufzubeschwören. Wenn morgen einige hundert um 13 Uhr ebenfalls mit einer Demo durch Kreuzberg ziehen, dann gedenken auch sie einer Sache, die vor 18 Jahren ihren Anfang nahm. Damals gründeten 60 Politaktivisten das linke Hausprojekt in der Kreuzberger Yorckstraße 59. Und während die revolutionären 1.-Mai-Demos längst kaum mehr eine politische Botschaft vermitteln, ist die Yorck 59 alles andere als ein Auslaufmodell.
Lange hat es kein linkes Projekt mehr geschafft, sich mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen und kreativen Kampagnen so sehr ins Stadtgespräch zu bringen wie die Yorck 59. Es droht zwar die Räumung, aber es besteht noch immer die Chance eines glücklichen Ausgangs für die rund 60 BewohnerInnen. Sie genießen eine Sympathie, die weit über linke Szenekreise hinausgeht.
Und das, obwohl aus mietrechtlicher Sicht eigentlich alles klar ist. Da gibt es auf der einen Seite einen Hausbesitzer, der das Objekt in Innenstadtnähe für 1,45 Millionen Euro gekauft hat und von den MieterInnen eine „marktübliche“ Miete fordert. Alternativ macht er das Angebot, den BewohnerInnen das Haus für 2,5 Millionen wieder zu verkaufen. Auf der anderen Seite gibt es die BewohnerInnen, die seit 18 Jahren in dem Objekt wohnen, arbeiten und vor allem linke Politik betreiben und sich diese Mieterhöhung nicht leisten können. Für den Hamburger Geschäftsmann Marc Walter heißt das: Sie müssen raus.
Dabei hätte ein Blick in Berliner Zeitungsarchive genügt, und er wäre informiert gewesen über die widerspenstigen BewohnerInnen. Neun Jahre zuvor hatten sich schon einmal Spekulanten an der Yorck 59 die Finger verbrannt. Damals wollten zwei stadtbekannte Immobilienspekulanten die Miete vervierfachen. Mit Kundgebungen, Solidaritätsbekundungen und der Verhandlungsbereitschaft der Bezirksregierung gelang es den BewohnerInnen schon einmal, die unsympathischen Machenschaften der beiden Geschäftsmänner an den Pranger zu stellen. Am Ende mussten sich alle Beteiligte an einen runden Tisch setzen. Das Hausprojekt blieb erhalten.
Walter ist da heute hartnäckiger. Längst reicht der Gang der Yorck-59-BewohnerInnen zur Bezirksregierung nicht mehr aus. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) persönlich haben sie eingeschaltet. Und mit ihm haben auch Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) und Bauentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) Vermittlungsbereitschaft zugesichert. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit wünschte den BewohnerInnen gar „alles Gute“ beim Häuserkampf.
Walters Reaktion: Er schickt weiter seinen Berliner Hausverwalter M. an die Front. Der jedoch ist geschockt über das Ausmaß der Stimmung gegen ihn und möchte seinen Namen in keiner Zeitung mehr sehen – auch wenn der Name längst sämtliche Plakatwände zwischen Kreuzberg, Friedrichshain und Neukölln schmückt.
Was das Erfolgsrezept der Yorck 59 ist? Zum einen gibt es die vielen spektakulären Aktionen der vergangenen Wochen, sei es, dass sie von der Siegessäule ein 30 Meter hohes Transparent herunterlassen, sich bei der Besetzung des ehemaligen Kreuzberger Bezirksrathauses vom Hochhaus abseilen oder mit mehreren hundert Teilnehmern in Walters Heimatstadt Hamburg demonstrieren. Gar nicht zu reden von den Aktionen vor der deutschen Botschaft in Malta und in Uruguay. Selbst der Nachwuchs der Yorck 59 wollte nicht tatenlos zu schauen, und man organisierte eine Kinderdemo mit anschließendem Straßenfest. In Kreuzberger Programmkinos läuft seit Wochen ein Filmclip über sie. Und überall im Stadtgebiet lächelt einem das freundliche Gesicht der Dame im Stil der Fünfzigerjahre von den Plakatwänden entgegen, versehen mit der Sprechblase „Yorck 59 bleibt!“.
Die „Soliszene“ ließ mit Unterstützungsaktionen auch nicht lange auf sich warten. Mehrere hundert Menschen haben in den vergangenen 18 Jahren irgendwann in den backsteinernen Fabriketagen gewohnt oder politisch gearbeitet und fühlen sich der Yorck 59 verbunden. An einem Wochenende kam es gleich zu einem halben Dutzend von symbolischen Hausbesetzungen – ein Politikfeld, das eigentlich seit längerem kaum mehr als en vogue bezeichnet werden kann. Aktionen wie Fischstäbchen im Briefkasten oder Farbeier auf Privathäuser des Hausverwalters gehen zwar nicht auf die Kappe der BewohnerInnen, schaden ihrem Ruf aber anscheinend auch nicht. Im Gegenteil: Der Unterstützerkreis wird größer. Angeblich sind auch die Cousine des Hausverwalters und ihre Tochter vor kurzem auf einer Kundgebung der Yorck 59 als Rednerinnen gesehen worden.
Die gesellschaftliche Stimmung scheint auf der Seite des Hausprojekts zu sein: In Zeiten allgemeiner Kapitalismuskritik gerät eben auch ein Immobilienspekulant schnell in Verruf. So war die Yorck 59 nicht die einzige Immobilie, die Walter und sein Hausverwalter erwerben wollte. Ein Geschäft um das Hotel Riverside an der Spree, Ecke Friedrichstraße scheiterte vergangenen Herbst, angeblich weil die öffentliche Wohnungsbaugesellschaft WBM als Geschäftspartner von M. ebenfalls um ihr Renommee fürchtete. Ein weiteres Geschäft war in der Friedrichstraße geplant, hatten die Yorck-BewohnerInnen spitzbekommen, und prompt erschienen sie mit Werbetafeln: „Miethaie zu Fischstäbchen“ und „Flossen weg von der Yorck 59“ war in Großbuchstaben zu lesen. Die WBM dementierte auf taz-Anfrage einen unmittelbaren Zusammenhang.
Offiziell gibt es für Walter und seinen Hausverwalter nichts mehr zu verhandeln. Geräumt werden soll ab dem 20. Mai. Hinter den Kulissen setzen sich aber zahlreiche Landespolitiker weiterhin dafür ein, eine Lösung zu finden. Aktuell im Gespräch ist ein Vorschlag des Senats, ein Tauschobjekt für den Hauseigentümer zu finden. Anstelle der Hinterhäuser in der Yorck 59 würde Walter eine gleichwertige Immobilie aus dem Fundus des Berliner Liegenschaftsfonds erhalten. Die BewohnerInnen könnten ihr Haus dann dem Land Berlin abkaufen.
Dessen ungeachtet setzen die BewohnerInnen der Yorck 59 weiter auf ihre vielfältigen Aktionen. Und es könnte geschehen, dass ihre Strategie tatsächlich aufgeht.