: Wozu liefert Italien 1.000 Leichensäcke?
Zwei Jahre nach dem Antimigrationsabkommen zwischen Italien und Libyen informiert der Bericht einer EU-Mission über katastrophale Zustände in den libyschen Lagern. Selbst elementare Menschenrechte der Flüchtlinge sind nicht garantiert
AUS ROM MICHAEL BRAUN
Lieferungen von 100 Schlauchbooten aus Italien nach Libyen , dazu sechs Geländewagen und drei Reisebusse, Nachtsichtgeräte und Unterwasserkameras, 6.000 Matratzen, 12.000 Wolldecken, aber auch 1.000 Leichensäcke – erstmals werden jetzt Details der engen Kooperation zwischen Italien und Libyen bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung von Libyen nach Europa bekannt. Rom lieferte danach nicht nur Gerät, sondern finanzierte auch etwa 60 Abschiebeflüge von Libyen in andere Staaten Afrikas und Asiens; außerdem bezahlte die italienische Regierung schon im Jahr 2003 ein Lager im Norden Libyens und gab Zusagen für die Finanzierung zweier weiterer Abschiebelager im Süden des Landes.
Gestern machte die italienische Wochenzeitung L'Espresso einen internen Bericht der EU-Kommission öffentlich, der die Eindrücke der Libyenreise einer „Technischen Mission“ mit Vertretern aus 14 EU-Staaten zusammenfasst – Eindrücke, die zeigen, wie Italien schon heute massiv die Verlagerung der Flüchtlingsabwehr inklusive Camps auf nordafrikanischen Boden betreibt. Eindrücke aber auch, die zeigen, wie dabei Menschenrechte unter die Räder kommen.
Im Sommer 2003 hatten Silvio Berlusconi und Muammar al-Gaddafi ihren Antiimmigrantenpakt geschlossen; seitdem ist die Zahl der an Italiens Küsten angelandeten Bootsflüchtlinge drastisch zurückgegangen; seitdem auch hat Italien mehrfach hunderte von Immigranten direkt nach der Ankunft auf Lampedusa wieder per Flugzeug nach Tripolis zurückgeschafft.
Immer aber weigerte sich die Regierung in Rom, den genauen Inhalt der Absprachen mit Libyen publik zu machen. Stattdessen gab es bloß die allgemeine Auskunft, alles gehe „menschenrechtskonform“ zu.
Den EU-Vertretern bot sich auf ihrer Reise im Dezember 2004 ein entgegengesetztes Bild. Sie berichten von Lagern, in denen Abschiebekandidaten in Gemeinschaftsräumen für 200 Personen untergebracht sind, wobei Männer, Frauen, Familien, Minderjährige ohne Begleitung zusammengepfercht werden. Sie berichten von libyschen Beamten, die direkt vor dem Besuch die Camps haben reinigen lassen; trotzdem aber seien nicht einmal niedrigste hygienische Standards erfüllt. Sie berichten von Lagerküchen, die offenbar schnell mit Obst und Gemüse aufgefüllt wurden – während die Gefangenen erzählten, dass sie mit Wasser und Brot ernährt werden. In manchen Lagern sei die Zahl der Insassen vor dem Besuch schnell von 700 auf 250 gesenkt worden.
Vor allem aber stellte die EU-Mission fest, dass Ausländer- und Flüchtlingspolitik in Libyen völlig willkürlich erfolgt. „Die libyschen Behörden lieferten keinerlei Information über Prozeduren und Kriterien der Festhaltung. Anscheinend wurden viele der in den Lagern angetroffenen Immigranten auf rein zufälliger Basis festgenommen. Die Entscheidung über die Repatriierung der Immigranten in ihre Herkunftsländer erfolgt anscheinend auf der Basis von Nationalitätsgruppen, statt auf Basis einer detaillierten Einzelfallprüfung.“
Italiens Regierung wird jetzt zu erklären haben, woher sie die Sicherheit nimmt, dass die 1.500 in den letzten zehn Monaten von Lampedusa nach Tripolis Abgeschobenen in Übereinstimmung mit der – von Libyen nie unterzeichneten – Genfer Flüchtlingskonvention behandelt werden; und wozu Rom 1.000 Leichensäcke nach Tripolis schickte. Steckt dahinter die Gewissheit, dass bei der Vorwärtsverteidigung Europas auf libyschem Boden reichlich Opfer anfallen?