FRANK SCHULZ, ONNO VIETS UND DER IRRE VOM KIEZ : Ein Schulz eben
Das Marketing mancher Verlage hat dem Regionalkrimi zu einiger Verbreitung verholfen – und zu einem zweifelhaften Ruf. Sind Regionalkrimis wirklich so provinziell? Das will diese Serie in loser Folge ergründen.
Zwanzig Jahre lang hat Frank Schulz jeden Rinnstein seiner norddeutschen Heimat danach umgedreht, ob sich darunter nicht noch eine verlorene Seele befindet, die er mit seiner Sprachkunst retten kann. Oder auch nur eine nächtliche Hinterlassenschaft, deren minutiöse Beschreibung Rückschlüsse auf das Geschehen der vergangenen Stunden zuließe.
Kotzflecken und Sonnenuntergänge – Schulz macht sich an jede Beobachtung mit dem gleichem Spürsinn für die tragikomischen Brüche. Das gilt umso mehr für seine Figuren, die an der Oberfläche oft grotesk überzeichnet sind, wie der mit Narben und Tattoos übersäte hünenhafte Körper des Irren vom Kiez. Sie gewinnen aber mit jeder Seite mehr Tiefgang, wie die Figur des Privatdetektivs Onno Viets. Erst mit Viets, diesem Taugenichts, ist der aus Hagen bei Stade stammende Schulz ganz in Hamburg angekommen. Der Protagonist seiner Hagener Trilogie, Bodo Morten, versackte als Neuhamburger erst mit „Kolks blonden Bräuten“ in Eimsbütteler Kneipen, pendelte dann zutiefst verunsichert, Morbus fonticuli halluzinierend, zwischen Wald und Großstadt, um sich zum Schluss nach Griechenland zur Selbstfindung beim Ouzo Orakel zurückzuziehen.
Onno Viets dagegen, Schulzens neuer Protagonist, lebt mit seiner Frau Edda und den Kumpels aus der Tischtennisrunde einen eher ruhigen Stiefel, ohne die großen Sinnfragen und existentiellen Fluchtreflexe – es sei denn, ein Killer von der Statur und Schmerzunempfindlichkeit des „großen Blonden“ bei Stieg Larsson trachtet ihm nach dem Leben. Während Schulz sein Alter Ego Morten nacheinander durch die Genres Trinker-, Schelmen- und Schäferroman trieb, darf Viets, mit dem Schulz außer den großartigen Reflexen beim Tischtennis (TT) nach eigener Aussage nichts gemein hat, gleich in der Königsklasse ran: dem Detektivroman.
Nun hat Onno Viets auch mit Philip Marlowe ungefähr so viel gemein wie mit Zhang Jike (aktueller TT-Weltmeister) – aber Genres sind bei Schulz sowieso nur wechselnde Camouflagen für einen Frank Schulz-Roman. Und der hat in diesem Fall eben einen Krimi-Plot: Arbeitsloser Lebenskünstler mit „Charisma für Arme“ wird mal eben Privatdetektiv, um eine Steuerschuld von 300 Euro zu begleichen und seiner geliebten Ehefrau ein Fahrrad zu schenken.
Vom Poptitan Nick Dolan erhält er den Auftrag, seine untreue Geliebte zu ertappen. Als deren Geliebter entpuppt sich die Kiezgröße Tibor Tetropov. Mit dem schließt Viets ungewollt Freundschaft, wird enttarnt und vom tief verletzten Neukumpel bis zum Showdown auf dem Alsterdampfer verfolgt.
Aber es ist ja nicht die Handlung, es sind nicht einmal die Figuren, die den Roman vorantreiben. Es ist diese Konsequenz und Genauigkeit, mit der Schulz jeden seiner Gegenstände erforscht und ihr sprachliches Eigenleben entschlüsselt. Das hat mit nichts weniger zu tun, als mit angepinseltem „Lokalkolorit“. Da wird zwar auch mal eine kräftige Pointe geschmettert, wenn der Ball hoch genug zurückkommt. Das Charisma von Schulzens Tragikomik entfaltet sich aber in den langen, immer raffinierteren Ballwechseln mit der Wirklichkeit. Und die führt Viets von der Reeperbahnromantik bis zu tiefen Einblicken in die Gewalterfahrungen junger Männer und Frauen und lässt ihn als Mensch und Detektiv reifen.
Manchmal vermisst der treue Schulz-Leser zwar noch die überaus erbaulichen Lebenskrisen Bodo Mortens, aber wie man hört, soll auch Onno Viets die Gelegenheit erhalten, weitere Facetten der Onnopathie zu zeigen. RALF LORENZEN
Frank Schulz: Onno Viets und der Irre vom Kiez, Galiani Verlag 2012, 366 S., 19,90 Euro