Mit Gebrüll in die Staatskanzlei

Die CDU zwischen Samba und Bombastrock: Jürgen Rüttgers stellt ein erstes Regierungsprogramm vor. Seine Paladine geifern gegen „Kanzler-Kumpel“, „gegenderte Eichhörnchen“ und „SPD-Lügen“

AUS WUPPERTALANDREAS WYPUTTA

Ein Generalsekretär, völlig überdreht wie seine Veranstaltungsregie: Zur Vorstellung des CDU-Sofortprogramms für den Fall der Regierungsübernahme gibt Hans-Joachim Reck den Einheizer. Kaum sind die heißen Sambarhythmen verklungen, haben die Kronleuchter der altehrwürdigen Wuppertaler Stadthalle aufgehört zu flackern, kanzelt er den Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa ab. Manfred Güllner, der „Kanzler-Kumpel“, der nicht nur bei der Wahl in Schleswig-Holstein richtig lag, es aber wagt, „keine Wechselstimmung“ in NRW zu sehen, wird bei Reck vom Demoskopen zum „SPD-Wahlkampfberater“. Differenziert wird drei Wochen vor der Wahl nicht mehr – SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück ist für Reck „am Ende“, steht für „Schulden, Bildungsmisere, Pleitewelle“.

Doch Recks Wahlkampf-Wahnsinn wirkt ansteckend. Hamms biederer CDU-Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann, selbst kein Meister einer gelungenen Ansiedlungspolitik, geifert über „nicht gebrauchte Industriegebiete“ und „gegenderte Eichhörnchen“. Der Rest ist unverständlich – die Stimme des gelernten Metzgers überschlägt sich, der Saal kocht trotzdem.

Diverse Werbespots später darf Moderatorin Doro Dietsch endlich den Mann ankündigen, „der macht, was er sagt“: Wie schon beim Oberhausener Wahlkampfauftakt der CDU dröhnt „the final countdown“ durch die Halle, hüpft Jürgen Rüttgers begleitet von den Bombastrockern der Gruppe Europe auf die Bühne. Doch der CDU-Spitzenkandidat bietet substanziell wenig Neues. Die Arbeitslosigkeit will der Kandidat durch längere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich bekämpfen. „Sozial ist, was Arbeit schafft“: Mechanisch und zeitgleich mit Rüttgers betet dessen stellvertretender Pressesprecher Karsten Biermann die Wahlkampfstanzen herunter. Das von Rot-Grün vorgelegte Antidiskriminierungsgesetz lehnt Rüttgers ab, will muslimischen Lehrerinnen stattdessen das Tragen von Kopftüchern im Unterricht verbieten.

Angesichts leerer Kassen seien die Gestaltungsspielräume gering, weiß auch der Oppositionsführer. Rüttgers bedient stattdessen die konservative Klientel: „Freiheit“ mehr Eigenverantwortung, das soll „das Signal sein, das von Wuppertal ausgeht“, ruft Rüttgers und erntet starken Applaus, genau wie für seine Forderung nach Schreibübungen im Kindergarten – schließlich hätten in NRW „Elfjährige eine Klaue wie 50jährige“.

Danach entgleist Recks Regie. Die drei bereits benannten Mitglieder des Schattenkabinetts, verschämt „Kompetenzteam“ genannt, treten auf, der Saal leert sich. Karl-Josef Laumann beschreibt sich als „Arbeits-, Sozial- und Gesundheitsminister“, klagt über die „höchste Arbeitslosigkeit, die es je in Nordrhein-Westfalen gab“ – den leichten Rückgang der Arbeitslosenquote im April hat der potenzielle Minister offenbar nicht mitbekommen. Danach spricht Laumann lange über die Wäschereien der Krankenhäuser, die wieder von Behindertenwerkstätten übernommen werden müssten. Selbst die Mitglieder des Rüttgers-Fanclubs, des so genannten „NRWin-Teams“, gehen. Die für Wirtschaft zuständige Christa Thoben geißelt Münteferings Kapitalismuskritik, erlaubt sich selbst aber einen Seitenhieb auf die Deutsche Bank. Beim Auftritt des potenziellen Finanzministers Helmut Linssen (siehe unten) muss Moderatorin Dietsch schon um Applaus bitten. Doch Rüttgers‘ Vorgänger als Chef der CDU-Landtagsfraktion weiß, was er seinen Parteifreunden schuldig ist: „Ich weiß, wie ich Ihnen den größten Gefallen tun kann: Indem ich es kurz mache.“