Nutze deine Jugend!

Mit einer Mini-Filmserie wagt sich das ZDF in die Höhle der Jugendkultur und trifft dort auf linke Skinheads, deutsche Rapperinnen und Lou Reed

VON SILKE BURMESTER

„Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“, sangen die Klassenbesten der Hamburger Schule, Tocotronic. Den Jugend-Abschiedsschmerz in den Knochen spürenden Feuilletonisten hat’s gefallen. Unablässig schreiben sie den Satz in ihre Blätter, bringt er doch so passend ein Dilemma auf den Punkt: das Bewusstsein für das Fehlen von Zugehörigkeit an einem Punkt, der sich entgegen den geltenden Gesetzen der Konsumgesellschaft nicht mal eben schnell herstellen lässt. Der Wunsch nach Zugehörigkeit, Protagonist einer Szene zu sein, ist dann auch das bindende Thema der vier sehr unterschiedlichen Filme, die das ZDF in seiner Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ im Mai präsentiert. Allen gemein ist die Musik als Basis einer Bewegung, nicht etwa Politik oder Engagement.

Den Auftakt macht Daniel Schweizers dokumentarischer Versuch, mit „Skinhead Attitude“ (heute, 0.05 Uhr) die Skinhead-Kultur aus dem rechtsradikalen Umfeld herauszulösen. Ausgiebig legt der Autor die Wurzeln der Bewegung frei, dokumentiert dessen Ursprünge im jamaikanischen Ska und passt den Punkt ab, an dem sich bei Ian Stuart, dem Sänger von Skrewdriver, die Schrauben zu lockern begannen und er in „Blood & Honour“ das Heil der weißen Rasse suchte und zur Spaltung der Skins führte. Zum Ende verliert Schweizer sich in der rechtsradikalen, paranoiden Mittelschicht Amerikas – dennoch möchte man den Film all jenen empfehlen, die Skins in den großen Topf der Rechtsradikalen werfen, umrühren und „fertig!“ schreien.

Ähnlich rückblickend arbeitet „The House of the Rising Punk“ (23. 5., 1.30 Uhr) von Christoph Dreher und Rotraut Pape, an dem auch Jutta Koether und Diedrich Diederichsen mitgewirkt haben. Weniger aufklärerisch, mehr informativ dokumentiert er die Entstehung des Punk in den späten 60ern in New York. Foto- und Filmaufnahmen mit den kindlich-schönen Musikern wie Richard Hell, Patti Smith oder Lou Reed belegen die eindrucksvolle und gleichzeitig fragile Kraft derer, die sich wann auch immer und wo auch immer zu orientieren suchen. Petra Mäussnest „Will einmal bis zur Sonne gehen“ (9. 5., 0.00 Uhr) aus dem Jahr 2002 ist das aktuellste Stück. Die Filmemacherin begleitete ein Jahr lang drei junge Frauen aus der deutschen HipHop-Szene. Sie stellt dem identitätsstiftenden Zugehörigkeitsgefühl die Mechanismen des Marktes gegenüber. Ihre Dokumentation bindet sich an drei Schicksale, ist Abbild einer persönlichen und gesellschaftlichen Standortbestimmung.

Als einzig fiktionales Stück wird „Graffiti – Wild Style“ (30. 5., 0.05 Uhr) von 1982 gezeigt. Ein Spielfilm, der die Rap- und Graffiti-Szene vor ihrer Kommerzialisierung zeigt. Ein trotz seiner kulturellen Bedeutung aus heutiger Sicht sperriges, langatmiges Stück, das an die aufklärerische Absicht tschechische Sozialfilme erinnert. Die Verantwortlichen des ZDF wollen mit dieser Reihe – ganz Staatsauftrag – Einblicke in Jugendkulturen geben, wie es aus der Redaktion heißt. Das gelingt. Doch in dem retrospektiven Ansatz – Ausnahme: „Will einmal bis zur Sonne gehen“ – verliert sich die Betrachtung „was will Jugend?“ in dem bereits Gewesenen. Nicht umsonst haben Tocotronic ihren Satz in einer eher orientierungslosen Zeit formuliert und damit die Frage nach dem Heute in den Raum gestellt.

Dennoch liegt die größte Kraft in den „Opa erzählt vom Krieg“-Filmen von Schweizer und Dreher. Sie lösen beim Betrachten die Erkenntnis aus, dass es unter den vielen verschiedenen Möglichkeiten, seine Jugend zu verbringen, eine beste gibt: die, Teil einer Jugendbewegung zu sein.