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Archiv-Artikel

„Ich kenne keine Grenzen“

Beschreiben, was abgeht: ein Gespräch mit dem französischen Autor Philippe Djian über seine Lust auf pornografisches Schreiben, auf Pulp und darauf, gegen den literarischen Kanon zu verstoßen

VON MATHIAS PENZELD

Herr Djian, in Ihrem Roman „Heißer Herbst“ sagt Luc Paradis: „Es reicht nicht, eine gute Figur zu haben, um eine gute Stripperin zu sein“. Reicht es, dass ein Schriftsteller eine gute Geschichte hat? Was ist nötig für einen guten Strip, was für eine gute Story?

Philippe Djian: Stil! Sie muss nicht perfekt aussehen. Was zählt, ist das Wie. Das gilt genauso für Schriftsteller wie für eine Stripperin. Was gerade angesagt ist, das gerade gängige Schönheitsideal oder was allgemein als Hohe Kunst gilt, ist vollkommen belanglos, damit muss man sich nicht weiter beschäftigen. Denn deine Gefühle werden dich schon mitnehmen, und du wirst die richtigen Worte finden, wenn du nur lange genug danach gräbst. Die Sprache muss sich dem angleichen, was wir um uns herum vorfinden. Sie muss in den Zeugenstand, als Reflexion. Und das ist verdammt schwer. Und es gibt keine Perfektion, man kommt niemals an.

Aber „Betty Blue“– die Geschichte von der Wahnsinnsfrau und dem Klempner, Pizzakellner und Klavierverkäufer – lässt sich doch nicht nur auf den Stil reduzieren?

Natürlich nicht. Stil ist aber ein wesentlicher Teil – der, der mich interessiert. Eine Geschichte erzählen kann jeder. Die Kunst besteht für mich darin, eine Story gut zu erzählen. Salinger sagte, er schreibt die Bücher, die er lesen will. Dasselbe gilt für mich. Wahrscheinlich haben wir eine ähnliche Kultur um uns herum. Es gibt vermutlich sogar einige meiner Landsleute, die das nicht verstehen – weil ihr Background ein ganz anderer ist. Im Figaro schrieb neulich jemand, ich würde mit Absicht nicht Französisch schreiben. Klingt sie nicht französisch, meine Schreibe? Nun, in meinen Ohren klingt das schon französisch.

Obwohl „Betty Blue“ extrem erfolgreich war, kam seither keiner Ihrer Romane ins Kino. Warum?

Als ich die Filmrechte verkauft hatte, ging es für mich ab. Großer Erfolg, große Sache … Und dann … Und dann traf ich keine Regisseure mehr, die mir interessant genug schienen, um ihnen die Filmrechte zu verkaufen.

Doch Jean-Jacques Beineix war für Sie interessant, seine „Betty Blue“ gut genug?

Er ist ein Freund. Das Ergebnis war schon gut, brachte mir so viel Geld ein, dass ich weiterschreiben konnte. Später merkte ich, dass ich nicht mehr Geld brauche.

Und seine Adaption?

Als ich „Betty Blue“ schrieb, war ich mir nie sicher, ob das zwei verschiedene Personen sind. Für mich waren das zwei Seiten von ein und derselben Person, wenn man so will von einer femininen und einer maskulinen. Die weibliche Seite sagte: „Geh in die Welt hinaus, mach was …“ In einem Buch kann man so was inszenieren, die Gespräche sind wie ein innerer Dialog. Aber im Film ist das nicht zu stemmen.

Das Medium Film ist für Sie seither erledigt?

Nein, mit Luc Bondy habe ich neulich das Drehbuch zu „Ne fais pas ça!“ geschrieben. Fürs Schreiben empfinde ich Film, genauso wie Malerei und Musik, als extrem inspirierend. Jean-Luc Godard zum Beispiel: Der weiß exakt, wie man damit klarkommt, wenn man viele Charaktere auf dem Set hat. Da kann man sehr viel lernen. Bei Godard beobachte ich immer ganz genau, wie er diese ganzen Leute integriert. Er arbeitet mit Wiederholungen in deren Sprache, in ihrem Ausdruck und so weiter. Für mich sind einige der Tricks übertragbar: Wenn jemand in einer Szene etwas in die Hand nimmt – und das dann in einer späteren Szene betrachtet. Wie man Perspektiven effektiv wechselt, das habe ich vom Film gelernt.

Zurück zu Stil und Striptease: Zwischen Buchdeckeln begegnet einem vermehrt eine „nouvelle pornographie“ – da gibt es Nabel- und Vaginabetrachtungen der Pornodarstellerin Raffaela Anderson in „Hard“, natürlich „Das sexuelle Leben der Catherine M.“, Christine Angots Autofiktion „Inzest“. In Ihrem Roman „Schwarze Tage, weiße Nächte“ versucht sich ein abgewrackter Schriftsteller an einem Porno – inwieweit wollten Sie es den „brand new heavies“ mal zeigen, wie Erotik auf Papier auszusehen hat?

Oh nein, so würde ich das nicht ausdrücken. Zwischen erotischer und pornografischer Literatur besteht ein großer, großer Unterschied. Ich habe ein Buch mit ein paar pornografischen Passagen geschrieben, weil mich erotische Literatur zu Tode langweilt. Die ganze Welt der Erotik, und dazu gehört erotische Literatur, geht mir völlig am Arsch vorbei. Mich berührt das nicht die Bohne. Wenn ich lese, wie jemand eine Szene aus erotischer Sicht beschreibt, komme ich nicht mit, weil ich nicht verstehe, was das Personal nun eigentlich macht. Das gibt mir doch nichts, wenn Sachen im Dunkeln bleiben. Bei pornografischer Darstellung ist das Gegenteil der Fall: Man sagt dem Leser haargenau, was abgeht. Da gibt es keine Barrieren, Verkomplizierungen zwischen Autor und Leser. Außerdem hat mich an Pornografie immer ein weiterer Punkt interessiert: Es gibt heutzutage nicht mehr viele Schriftsteller, die sich damit auseinander setzen. Früher gab es einige, also Sade, Henry Miller … Aber das Gebiet ist ein wenig vernachlässigt worden. Also fragte ich mich, wie man sich dem noch einmal literarisch nähern könnte; also nicht so wie in Pornozeitschriften oder so, sondern auf literarischer Ebene.

Fréderic Beigbeder hat das in „39,90“ treffend dargestellt …

Bei den Schriftstellern heutzutage hat man den Eindruck, alles sei schon vorher so gesagt worden, genauso beschrieben worden. Interessant wäre nun eine neue Perspektive. Und da habe ich mir gedacht: Pornografie, das könnte interessant sein. Das Vokabular von Pornografie, das emotionale Niveau ist sehr, sehr stark. Das zu schreiben, ist nicht einfach. Ich meine, man kann doch Pornografie nicht denen überlassen, die Pornofilme und diese Heftchen produzieren! Man kann das doch nicht denen überlassen, die keine Ahnung davon haben, wie man Action kreiert! Lies Miller, Mann, das ist wunderbar!

In Ihrem gerade auf Deutsch erschienenen Roman „Reibereien“ geht es wieder um eine Liebesbeziehung, die …

Nicht nur um eine.

Im Zentrum steht die Liebesbeziehung eines Mannes – zu seiner Mutter.

„Reibereien“ beschreibt ein paar Lebensabschnitte eines Mannes. Es handelt sich dabei um fünf Sequenzen in seinem Leben, die jede für sich alleine stehen können. Im ersten Part ist er elf Jahre alt, im zweiten zwanzig. Insgesamt gibt es fünf solcher Parts. In der einen Story steht er also gerade in der Küche, am Herd, als sich seine Frau an ihn ranmacht, ein paar Seiten später fangen sie gerade an zu vögeln, da kommt seine Mutter rein, das Gesicht blutüberströmt – sie hatte einen Autounfall. „Reibereien“, das ist für mich der Versuch, über das Leben als Ganzes zu sprechen, in diesem Fall das Leben eines Mannes. Allerdings arbeite ich schon am folgenden Buch. Im amerikanischen Fernsehen schaue ich mir viele dieser Serien an, deren Struktur mich zunehmend fesselt – also solche Sachen wie „Six Feet Under“. Bei mir geht es um zwei Brüder, die eine Kfz-Werkstatt besitzen. Außerdem gibt es da noch eine Frau, die zurückkehrt. Alle sind um die vierzig, und dann findet sie heraus, dass beide Brüder in sie verknallt waren – als sie mit einem anderen fortging. Zwanzig Jahre später kommt sie zurück, weil ihr Leben mit dem anderen vorbei ist. Es geht da um das gesamte Leben der zwei Brüder, ihrer Mutter, dem Vater und so weiter. Das wird zu mehreren Büchern führen. Macht Spaß.

In Ihrem aktuellen Roman „Sirenen“ wird zwar immer noch wild gevögelt, doch der um Worte und Existenz ringende Schriftsteller hat sich aus dem Staub gemacht.

„Sirenen“ ist ein Krimi. Für einen Autor ist es immer interessant, sich anderen Genres zuzuwenden und daran zu versuchen. Richard Brautigan gefällt mir, weil er sich ständig über dieses Schubladendenken hinweggesetzt hat: Er hat so viel gemacht, Western, Krimis, Science Fiction, Gothic Novels, natürlich diese Beat-Sachen, wo er aber die Hippiebewegung so richtig schön schlecht machte. Jedenfalls finde ich, dass sich Literatur mit allem befassen und überall zugegen sein sollte: in der Form von Pornografie, Detektivgeschichten etc. Sonst kann man doch gleich einpacken. In Frankreich, wo der ganze Literaturbetrieb völlig verbohrt ist, macht es umso mehr Spaß, dieses starre Schubladendenken ein bisschen aufzumischen. Ich finde, man soll ruhig hingehen und einen Roman für Gallimard schreiben, in deren collection blanche, und danach einen Krimi, der im Bahnhofskiosk mit lauter Schund angeboten wird. Ich kenne keine Grenzen. Ich lese auch Groschenhefte. So war es für mich also ganz natürlich, selbst auch mal Pulp zu schreiben. In „Sirenen“ gibt es einen Mann und eine Frau, und sie arbeiten beide bei der Polizei. Es gibt eine Leiche, eine junge Frau, also ermitteln die beiden. Ihre privaten Probleme sind aber wichtiger als der Job. Die Polizeiarbeit ist eher nebensächlich. Polizeiarbeit finde ich nicht sonderlich aufregend. Viel spannender sind für mich die Probleme der Lebenden, in diesem Fall der Polizisten mit ihrem ganzen Kuddelmuddel. Krimikenner finden vielleicht, dass „Sirenen“ kein richtiger Krimi ist, weil ich mich nicht mit dem Procedere befasse, das im richtigen Leben zur Auflösung eines Falls führt. Aber ich kann nur über das schreiben, was mich interessiert: menschliche Beziehungen.

Nach zwölf Romanen erschien mit „In der Kreide“ erstmals ein Essayband von Ihnen.

Ein dünnes Bändchen – und doch das Resultat von vielen Jahren und Gedanken und Gesprächen. Da muss ich weiter ausholen: Zum Schreiben bedarf es des Talents und der Arbeit. Viel Arbeit. Vor allem, weil ich keine Message habe, die ich weitergeben will – unter dem Deckmäntelchen der Schriftstellerei irgendwelche historischen oder tiefenpsychologischen Abhandlungen verhökern oder so. Mir geht es nur um Stil und Sprache. In Frankreich verweist beides auf unser literarisches Erbe. Tradition. Jeder schätzt Schriftsteller. Jeder ist stolz auf dieses Erbe, so groß und gewichtig, so monumental, dass man es nicht vom Sockel kicken kann. Für mich war es wichtig, mal klarzustellen, welche Bücher mir warum wichtig waren. Ein paar davon sind als Klassiker bekannt, andere nicht. Was mir an der amerikanischen Literatur gefällt, ist, dass da jeder Schriftsteller werden kann. Du kannst anfangen als Autoverkäufer und später Romane schreiben – wenn man in Frankreich aufwächst, hat das etwas ungemein Befreiendes. Für mich – als heranwachsender Typ in Frankreich – war es unvergesslich zu sehen, wie Kerouac und andere einfach aufschrieben, was sie draußen vorfanden, was das für eine Wirklichkeit war und was das in ihnen auslöste. Darum geht es in „In der Kreide“.