DANK UNION KANN NICHT MAL EINE RÜGE AUS BRÜSSEL FISCHER STOPPEN: Fatale Fehler – frei von Folgen
Es spricht viel dafür, dass die rot-grüne Bundesregierung mit ihrer Visapolitik gegen europäisches Recht verstoßen hat. Sie hat es kriminellen Banden zeitweise sehr leicht gemacht, die eigentlich unerwünschte Einreise von Schwarzarbeitern und Prostituierten aus der Ukraine zu organisieren. Außenminister Joschka Fischer sprach im Visa-Untersuchungsausschuss von „fatalen Konsequenzen“ eines Erlasses, der in seinen Verantwortungsbereich falle. Über die Folgen für die restliche EU redete er wohlweislich nicht. Weil jedoch die ausgestellten Visa für den gesamten Schengen-Raum galten, sind Fischers Fehler jetzt auch ein Fall für die EU-Kommission in Brüssel. Wohl zu Recht.
Die Anweisung des Außenministeriums, „in der Regel“ auf die Prüfung von Reisezweck und Rückkehrbereitschaft vermeintlicher Touristen zu verzichten, war gewiss nicht im Sinne der Erfinder des Schengener Abkommens. Möglicherweise wird der zuständige EU-Kommissar deshalb Fischer demnächst tadeln – was peinlich wäre, weil gerade Deutschland einst auf besonders strengen Vorschriften bestand. Es spricht trotzdem wenig dafür, dass Fischer mit fatalen Konsequenzen rechnen muss, was seinen Verbleib im Amt betrifft.
An einem ernsthaften Konflikt dürfte die EU-Kommission kein Interesse haben. Zum einen, weil die Fehler längst korrigiert wurden. Zum anderen, weil bei einer gründlichen Aufarbeitung ein gerüttelt Maß an Heuchelei sichtbar würde. Auch andere EU-Staaten hatten lange nichts gegen die deutsche Visapraxis. Beim Bau von Fußballstadien in Portugal waren billige Schwarzarbeiter sogar höchst willkommen. Fischer kann also darauf hoffen, dass es bei einer Rüge bleibt. Und Rügen aus Brüssel abzuhaken gehört, siehe Stabilitätspakt, zur Routine. Vor allem aber kann sich Fischer bei der Union bedanken, die den Visamissbrauch als rein innenpolitisches Problem behandelt hat. Als solches hat dieser aber, durch die Ermüdung der Öffentlichkeit und die Unfähigkeit der Ausschuss-Fragesteller, an Sprengkraft verloren. Auf die europäische Karte setzt die Union nur, weil sie Fischer aus eigener Kraft nicht stürzen konnte. LUKAS WALLRAFF
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