: Die Wahlenthaltung nutzt den Islamisten
Bei ersten kommunalen Teilwahlen in Saudi-Arabien war die Beteiligung gering – erstaunlich in einem Land, das über einen Mangel an Demokratie klagt. Nun beginnt eine öffentliche Debatte über die Ursachen des weit verbreiteten Desinteresses
AUS DSCHIDDAH DAHLIA RAHAIMY
Nach dem Abschluss der kommunalen Teilwahlen in Saudi-Arabien ist in dem Königreich eine Diskussion über die Bewertung des Ergebnisses und der niedrigen Wahlbeteiligung ausgebrochen. In den meisten Städten siegten die Kandidaten der „Goldenen Liste“, die im religiösen Sinne strenggläubig, politisch aber moderat eingestellt sind und die Unterstützung der Scheichs hatten.
Aber es gab auch abweichende Ergebnisse. So errangen die Liberalen ihre besten Ergebnisse in den wahhabitischen Hochburgen wie Buraidah und Ozaina 300 Kilometer nördlich der Hauptstadt Raid. Dort erhielten sie 60 Prozent der Stimmen – ein Phänomen, mit dem sich jetzt Sozialforscher beschäftigen.
Bei den Wahlen, die zwischen Februar und April stattfanden und bei denen Frauen und Parteien nicht zugelassen waren, konnten die Wahlberechtigten die Hälfte der Mitglieder der Stadträte bestimmen. Die andere Hälfte wird von Kronprinz Abdullah Bin Abdulasis ernannt. Dies sorgte zunächst für Unmut, doch nun gibt es auch die Hoffnung, dass er angesichts des Ergebnisses für einen gewissen Ausgleich sorgt und sich für nichtreligiöse Männer entscheidet. Damit liegt es letztendlich an der Regierung, wie groß der Anteil der Islamisten sein wird.
Wahlanalytiker machen vor allem zwei Faktoren für den Sieg der Goldenen Liste verantwortlich: die gut organisierten Kampagnen der Kandidaten in ihren Wahlzelten oder im Internet und das Desinteresse eines großen Teils der Bevölkerung. „Die Wahlbeteiligung in Riad lag bei ungefähr 10 Prozent, in Dschiddah etwa 30“, meint der Arzt Ahmad A., „das ist wenig in einem Land, wo man sich über einen Mangel an Demokratie beklagt.“ Er glaubt jedoch, dass die saudische Wählerschaft immer noch eine konservative Gesellschaft repräsentiert, die trotz ihrer modernen Lebenseinstellung eine religiöse Führung bevorzugt. Ein Faktor, der die Kandidaten der Goldenen Liste attraktiv erscheinen ließ. Predigten von Scheichs wie Safar al-Hawaly, ein Islamist, der sich zunächst gegen die Wahlen ausgesprochen hatte, kamen gut an, auch wenn weniger von den Inhalten der Wahlen als vielmehr von dem üblichen Feind, dem Westen, die Rede war. Für Sultan O., einen Beamten, ging es bei der Wahlenthaltung schlicht um Drückebergerei. Viele hätten sich in der Vergangenheit über die Kommunalverwaltungen beschwert, sich aber gedrückt, als es um ihre Entscheidung ging. „Dafür gibt es keine Entschuldigung, außer Faulheit“, sagt er.
Ganz so einfach liegen die Dinge aber nicht. So ließ die Wahlorganisation einiges zu wünschen übrig. Bei dem ersten Urnengang in Saudi-Arabien überhaupt versäumten die Wahlkommissionen vielerorts, die Bevölkerung über die Kompetenzen der Kommunalverwaltungen aufzuklären. Dabei geht es um Fragen wie Müllbeseitigung, Kinderbetreuung und andere nachbarschaftliche Probleme, wegen denen die Verwaltungen in die Kritik geraten waren. Wenn die Kandidaten dann mit nationalen Themen wie der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Wahlkampf ziehen, sinkt das Interesse auf lokaler Ebene.
Ob das Wahlergebnis ein Beweis für die Verankerung des Wahhabismus in der Gesellschaft ist oder Ausdruck eines undemokratischen Systems, in dem es an politischem Verantwortungsgefühl fehlt, wird sich wohl in vier Jahren zeigen, wenn die nächsten Wahlen stattfinden. Bis dahin werden sich die jetzt gewählten Kandidaten beweisen müssen, und die Liberalen haben die Chance, neue Strategien zu entwickeln. Saudi-Arabien steht erst am Anfang eines lang erwarteten Reformprozesses.