: Schläge und Tritte bei der Festnahme
STAATSGEWALT Anti-Folter-Komitee berichtet über Zustände in deutschen Haftanstalten und Polizeiwachen. Kritik an fehlenden Konsequenzen für gewalttägige Polizisten – und an Kastration von Sexualstraftätern
FREIBURG taz | Deutschland hat vom Anti-Folter-Komitee des Europarates eine relativ positive Bewertung erhalten. Bei seinem jüngsten Delegationsbesuch erhielt das Komitee keine Hinweise auf Misshandlungen in deutschen Gefängnissen und Polizeistationen. An diesem Mittwoch hat das Komitee seinen Bericht und die inzwischen erfolgte Antwort der Bundesregierung in Straßburg veröffentlicht.
Bemängelt wurde von Gefangenen allerdings, dass die Polizei bei Festnahmen gelegentlich übermäßige Gewalt einsetze – insbesondere setze es oft Schläge und Tritte, wenn die betroffene Person schon unter Kontrolle sei. Das Komitee forderte deshalb von der Bundesregierung einen Überblick, wie die Justiz mit Vorwürfen gegen mutmaßlich gewalttätige Polizisten umgeht. Die jetzt vorgelegte Aufstellung der Bundesregierung zeigt, dass solche Strafverfahren fast immer eingestellt werden.
Zudem forderte das Komitee die Länderpolizeien auf, die Vierpunktefixierung von Inhaftierten (Fixierung an allen vier Gliedmaßen) aufzugeben. Sachsen und die Bundespolizei wurden als Vorbilder benannt. Die Bundesregierung erwiderte jedoch, die von einer „Sitzwache“ beaufsichtigte Fixierung sei als Ultima Ratio weiter nötig, „wenn alle Versuche der Deeskalation erfolglos waren und es kein milderes Mittel gibt, um die Gefahr der Selbst- oder Fremdverletzung abzuwenden“. 2005 war in einer Dessauer Polizeistation der fixierte Ouri Jalloh unter ungeklärten Umständen verbrannt.
In Gefängnissen wurde vor allem die Gewalt unter den Gefangenen beklagt. Die Behörden wurden vom Anti-Folter-Komitee aufgefordert, hier weiter wachsam zu sein, vor allem in Jugendhaftanstalten.
Das Anti-Folter-Komitee ist eine Einrichtung des Europarats, dem 47 Staaten Europas angehören, von Portugal bis Russland. Alle vier bis fünf Jahre besichtigt eine Delegation Gefängnisse, Polizeiwachen und Psychiatrie-Einrichtungen. Der aktuelle Bericht bezieht sich auf eine zweiwöchige Reise, bei der Ende 2010 eine neunköpfige Delegation unter Leitung des Iren Timothy Dalton 18 deutsche Einrichtungen kontrollierte. Die Mitglieder können dabei unbeaufsichtigt mit Gefangenen sprechen.
In seinem Bericht forderte das Anti-Folter-Komitee Deutschland außerdem auf, keine chirurgische Kastration von Sexualstraftätern mehr vorzunehmen. Es sei zweifelhaft, ob deren Zustimmung zu dieser unumkehrbaren Operation wirklich stets freiwillig sei. CHRISTIAN RATH