: Lieber grillen als gedenken
Die Feierstunde des Sächsischen Landtages am 8. Mai stößt auf peinlich schwaches Interesse bei Politikern. Warum muss der Termin auch ausgerechnet auf das Himmelfahrtswochenende fallen?
AUS DRESDENMICHAEL BARTSCH
In der Verwaltung des Sächsischen Landtages herrscht Bestürzung und Nervosität. 600 Einladungen sind zur offiziellen Feierstunde von Landtag und Staatsregierung am 8. Mai verschickt worden. Doch die Personen, die man für die wichtigsten in Sachsen hält, nehmen den 60. Jahrestag des Kriegsendes offenbar ihrerseits nicht so wichtig.
Sechs Tage vor der Feierstunde am Sonntagvormittag muss damit gerechnet werden, dass nicht einmal die Hälfte der Eingeladenen kommt und viele der 300 Plätze leer bleiben, die der Plenarsaal des Landtages einschließlich der Zuschauertribüne bietet. Die dürftige Resonanz ist umso peinlicher, als das Fernsehen des Mitteldeutschen Rundfunks die Feierstunde live übertragen wird. Der Rundfunkchor und das Sinfonieorchester des MDR unter der Leitung von Udo Zimmermann sind für eine Kollektivkomposition „Jüdische Chronik“ der Nachkriegs-Komponistenavantgarde aufgeboten. Mitglieder des Staatsschauspiels lesen Borcherts „Draußen vor der Tür“. Die Reden dauern insgesamt nur etwa 20 Minuten. Landtagspräsident Erich Iltgen und Ministerpräsident Georg Milbradt, beide CDU, dürfen damit als feste Gäste eingeplant werden. Auch das Kabinett zeigt sich vorbildlich. Nur zwei der neun Minister haben abgesagt. Die CDU-Landtagsfraktion werde sich „prominent beteiligen“, sagt Sprecher Martin Kuhrau. Doch über den Fraktionsvorsitzenden Fritz Hähle hinaus kann er keine Namen nennen. Man habe in der Fraktion aber für die Teilnahme geworben.
Seine SPD-Kollegin Eileen Mägel findet es „nicht dramatisch“, wenn nur vier der 13 Fraktionsmitglieder erscheinen. Viele hätten schließlich auch Verpflichtungen in ihren Wahlkreisen. Auch der Hinweis auf Berliner Veranstaltungen fällt. Alle aber räumen auf Nachfrage ein, dass die Himmelfahrts-Konstellation eines langen Wochenendes schwankende Gemüter eher von einer Teilnahme abhalten könne. Das drohende Fiasko wird vorerst nur inoffiziell bestätigt. Denn unter Abgeordneten, Landräten, Oberbürgermeistern, Vertretern der Kirchen, der Verbände und gesellschaftlichen Gruppen wird hinter den Kulissen eifrig agitiert. „Natürlich wäre eine schwache Resonanz ein schlimmes Signal“, sagt ein anonym bleiben wollender Landtags-Mitarbeiter. Die Fernbleibenden könnten in den Verdacht geraten, ähnliche Gründe wie die NPD zu haben. Deren Landtagsfraktion hatte gestern ihre Nichtteilnahme beschlossen. Man wolle „die Niederlage Deutschlands mit all ihren schlimmen Folgen für unser Volk“ nicht auch noch feiern, so der stellvertretende Fraktionschef Uwe Leichsenring. Die NPD stößt sich vor allem an der „Jüdischen Chronik“. Nach ihren Vorstellungen hätte sie sich vielleicht mit einer „Gedenkstunde“ abfinden können, auf der Vertriebenengedichte und Wagners „Siegfried-Idyll“ erklungen wären.
Auch die PDS ist mit dem Tenor der Feierstunde nicht zufrieden. Landtagspräsident Iltgen habe seine Zusage gebrochen, das Gedenken an den „Tag der Befreiung“ kenntlich zu machen. Nur unter dieser Bedingung habe die PDS auf einen eigenen Redner verzichtet. Der Bezug allein auf das Kriegsende sei einseitig, so der parlamentarische Geschäftsführer André Hahn.
Der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Professor Cornelius Weiss, stützte gestern die Auffassung der PDS. Weiß ließ am Nachmittag mitteilen, dass auch er die Bezeichnung „Tag der Befreiung“ für selbstverständlich halte. Die Debatte darüber sei schädlich.