: Vom Notstand zum Mythos
Im Februar dieses Jahres geisterte eine wahrlich unglaubliche Meldung durch die Medien, dass nämlich das Jubiläumskonzert zum 40. Jahrestag des Woodstock-Festivals in Berlin stattfinden solle, im August, auf dem Flughafen Tempelhof. Das aber war dann doch zu unglaublich und gar nicht wahr, auch wenn jetzt tatsächlich ein Festival in Berlin abgehalten wird, an diesem Wochenende. Auf dem Flughafen Tempelhof. Dieses Berlin-Festival ist allerdings eher ein Gegenentwurf zu Woodstock. Ein City-Festival, mit Music-to-go. Ohne Matsch. Ohne Zelte. Man muss nicht einmal Stunden vor den Toiletten anstehen, weil man sich das Geschäft gut so lange verkneifen kann, bis man wieder bei sich daheim in der Wohnung oder im Hotelzimmer ist.
Was aber war Woodstock? Diese sagenhaften drei Tage of love and peace and music, vom 15. bis 17. August 1969 in Bethel. Zuerst doch wohl bestenfalls die Stiefmutter aller Freikonzerte, weil die Woodstock-Organisatoren das überhaupt nicht so gedacht hatten. Als normal kapitalistische Angelegenheit war das Festival geplant, mit Eintrittskarten und einer Kalkulation, die mit 60.000 Besuchern rechnete. Allerdings machte sich etwa eine Million auf den Weg. Die Hälfte kam auch an. Der Rest: Hängengeblieben in den verstopften Zufahrten landesweit (Arlo Guthrie: „New York State Throughway is closed, man“). Es waren die Massen, die alle Pläne schlicht niederwalzten, bis endlich die Durchsage kam: „It’s a free concert from now on.“ Auf der Plattenauswertung von Woodstock ist sie zu hören, gleich verknüpft mit dem Hinweis, bitte immer daran zu denken, „that the man next you is your brother“. Alle Menschen Brüder. Weil diese unglaublichen Menschenmassen ja auch ein Notstand waren, für die es keinerlei hinreichende Infrastruktur gab und keinen Helmut Schmidt, der damals, 1962, als Polizeisenator Hamburg aus der großen Flutkatastrophe heraushaute. Kein Führungsoffizier aber in Woodstock. Irgendwie haben sie es trotzdem hingekriegt.
Ein Woodstock kann man nicht planen. Ein Woodstock ereignet sich.
Was aber heißt: Woodstock muss man selber machen, wenn man es denn will. Und das wäre doch eine hübsche Beschwörung des alten Geistes, jetzt zum Jubiläum. Dafür müssen nur alle raus auf die Straße und hin zum Rollfeld streben, heute. Einige werden dann schon durchkommen und damit einen neuen Mythos begründen. Später mag man sich wie Abbie Hoffman in seinem Buch „Woodstock Nation“ fragen: „Waren wir Pilger oder Sterbende? War dies der Anfang einer neuen Zivilisation oder das Symptom einer sterbenden. Waren wir dabei, eine befreite Zone zu schaffen oder ein Internierungslager?“ THOMAS MAUCH