: Schröder wirbt auf dem türkischen Markt
Nach jahrelanger Krise boomt die Wirtschaft der Türkei. Wachstumsraten von 9 Prozent, davon träumt der Kanzler
ISTANBUL taz ■ Ginge es bei dem Abstecher von Bundeskanzler Schröder in die Türkei nur um Wirtschaftspolitik, der Besucher könnte sich schon vorab im Erfolg sonnen. Die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen sind gut wie nie. Wie Schröder selbst in einem Interview mit der Tageszeitung Milliyet stolz darlegte, ist Deutschland mittlerweile der weltweit größte Handelspartner der Türkei. Allein im letzten Jahr, so Schröder, „ist der gemeinsame Außenhandel um 20 Prozent gewachsen“.
Nach Meinung aller Fachleute wird sich diese Entwicklung in den kommenden Jahren noch verstärken. „Die Liste der deutschen Firmen, die sich in der Türkei engagieren wollen, ist lang“, sagte Marc Landau, Chef der deutsch-türkischen Industrie- und Handelskammer in Istanbul der taz. „Der türkische Markt wird für deutsche Unternehmen immer interessanter.“ Tatsächlich sind die makroökonomischen Daten der Türkei für Investoren so positiv wie noch nie. Mehr als 9 Prozent Wachstum im letzten Jahr, ein prognostiziertes Wachstum von rund 6 Prozent für dieses Jahr und eine wachsende Bevölkerung, mit ansteigenden Konsumwünschen, machen die Türkei nach jahrelanger Durststrecke jetzt auch für ausländische Direktinvestitionen attraktiv.
Bei seinem Besuch hat Schröder deshalb gleich zwei wirtschaftspolitische Treffen auf seinem Programm. Einmal, im kleinen Kreis, mit potenziellen Großinvestoren aus beiden Ländern, zum Zweiten redet er gemeinsam mit dem türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan auf einem eigens für ihn von der deutsch-türkischen Handelskammer in Köln ausgerichteten Wirtschaftskongress vor 1.000 türkischen Unternehmern über die EU-Aussichten der Türkei. Dabei geht es nicht mehr nur darum, wie deutsche Groß- und mittelständische Unternehmen sich auf dem türkischen Markt engagieren können. Auch in umgekehrter Richtung gibt es mittlerweile Bewegung. Insgesamt, so das Zentrum für Türkeistudien, sind insgesamt 138 türkische Firmen in Deutschland präsent, unabhängig von den vielen Selbstständigen deutsch-türkischer Herkunft.
Eine insgesamt erfreuliche Entwicklung, wie Schröder sagt, der damit nicht ganz zufällig auch eine Botschaft an die türkischstämmigen Wähler in NRW sendet, wo die meisten deutsch-türkischen Firmen beheimatet sind. Damit der Besuch aber nicht zu einseitig wird, hat Schröder auch noch einen Abstecher zum griechisch-orthodoxen Patriarchen Bartholomäus I. auf dem Programm. Schröder will damit der christlichen Minderheit den Rücken stärken und darauf aufmerksam machen, dass die Reformen zur Religionsfreiheit immer noch auf ihre Umsetzung warten. Dazu braucht es aber auch „einen Mentalitätswandel“ so Schröder. JG