piwik no script img

Archiv-Artikel

Punk ist der neue Swing

Im Hamburger Stadtteil Ottensen gehören Punks seit 25 Jahren zum Stadtbild wie der Michel zu ganz Hamburg. In jüngster Zeit macht die Polizei Jagd auf die Punks und verbietet ihnen ihre Musik – ungeachtet des Grundrechts auf Freiheit der Kunst

Wenn sich in den kommenden Tagen auf dem 816. Hamburger Hafengeburtstag entlang der Flaniermeile mit Werftenblick angereiste und heimische Prolls friedlich zu Sauforgien zusammenfinden und „Eisgekühlter Bommerlunder“ gröhlen, wird kaum ein hanseatischer Polizist auf die Idee kommen, diese Feiernden des Standort-Events zu verweisen oder gar präventiv in Gewahrsam zu nehmen unter Schlagstockeinsatz – obwohl es sich bei dem Song doch um einen Titel der „Toten Hosen“ handelt.

Anders verfährt die Ordnungshüterschar dieser Tage im zwei Kilometer entfernten Ottensen, um das Quartier von Punks zu säubern. Die subkulturellen Jugendlichen störten, so umschreiben Polizeioffiziere die neue Standort-Politik, das Bild des „eventorientierten und erlebnisoffenen Stadtteils“. Wenn es aber zur Sache geht, gibt es auch schonmal derbere Sprüche zu hören: „Wir säubern das Viertel von euch Pack“, so Beamte der Festnahme-Trupps. „Geht doch nach Mecklenburg-Vorpommern, dann sind wir euch los und ihr könnt dort eine Kommune gründen.“

Dabei gehören Punks in Ottensen seit 25 Jahren zum Stadtbild wie der Michel zu ganz Hamburg. Seit 1980 hängt die x-te Generation von Punks am Ottenser Spritzenplatz ab oder schnorrt am nahe gelegenen Altonaer Bahnhof. Die Szene ist geduldet und akzeptiert und wird zum Teil sogar – „die sind doch ganz lieb“ – gehätschelt. Seit Ostern dieses Jahres bläst die Polizei jedoch nach Jahrzehnten wieder zur strategischen Punkerjagd – mit Methoden, so seltsam wie fragwürdig. Geradezu einen verfassungsrechtlichen Salto mortale legte sie etwa am vorigen Wochenende hin: Da wurde kurzerhand das Grundrecht auf Kunstfreiheit außer Kraft gesetzt.

Bereits im März hatte die Bürgerinitiative „Unser Bismarck-Bad bleibt!“ ihr Straßenfest wider die Schließung der städtischen Schwimmhalle angemeldet. Plötzlich drohte die Staatsmacht damit, das genehmigte Fest zu stürmen. Denn was eigentlich bekannt war, wollte die Polizei erst wenige Tage zuvor mitbekommen haben: Die Punkband „Left Jab“, die auf dem Bauwagenplatz in der Ottenser Gaußstraße residiert, erklärtermaßen gern baden geht und sich deshalb in der Initiative engagiert, war für einen Auftritt geordert worden.

Darin sahen die örtlichen Polizeigrößen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung; denn Punk-Musik, so die Überlegung, locke nun mal Punk-Publikum an. Das zuständige Bezirksamt wurde verdonnert, jedwede Punk-Musik auf dem Fest zu untersagen – sonst werde die gesamte Veranstaltung aufgelöst. „Das ist ja wie unter den Nazis“, empörten sich ältere Viertelbewohner auf dem Fest, „als man uns den Swing verboten hat.“

„Das ist eine unzulässige Zensur einer bestimmten Art von Kunst“: Der Verfassungsrechtler Ulrich Karpen, Direktor der Forschungsstelle für Kulturverfassungs- und Verwaltungsrecht an der Universität Hamburg, bringt es auf den Punkt. Selbst wenn eine Band „aggressive, laute und aufrüttelnde Musik“ spiele, müsse dies nach dem Grundgesetz akzeptiert werden, da dies ja „die Ausdrucksform dieser Art von Kunst ist“, befindet Karpen. „Die Provokation ist ja gerade ein wesentliches Merkmal der Kunst“.

Das Musikverbot von Ottensen indes ist bislang nur der vorläufige Schlusspunkt einer ganzen Latte rechtsstaatlich fragwürdiger Vorgehensweisen: Anlass der neuerlichen Eskalation war ein karfreitägliches Saufgelage auf dem Alma-Wartenberg-Platz, mitten im Herzen des toleranten und multikulturellen Viertels: einem tristen Betonplatz mit einigen Bäumen, am Rand „verziert“ mit Betonbänken. Hier sammeln sich in den ersten Frühlingstagen zwischen dem türkischen Straßen-Restaurant „Denis Grill“ und dem eher studentischen Szenelokal „Insbeth“ Punks – auch aus dem Hamburger Speckgürtel.

Und in der Tat: Nach bürgerlichen Begriffen ging es bei den „friedlichen Besäufnissen“, an denen bis zu 70 Leute teilnahmen, nicht immer gesittet zu. Da wurde an Bäume gepinkelt, im Koma-Suff ging auch mal eine Flasche kaputt, und manch Punk staubte an den Tischen Speisereste ab. Zur Eskalation kam es aber erst, als die Polizei sich veranlasst fühlte, mit Gewalt das Gelage aufzumischen. Restaurantbesucher, so hieß es später seitens der Ordnungshüter, seien bepöbelt und mit Flaschen beworfen worden.

Seitdem muss jeder, „der augenscheinlich einer bestimmten Ausrichtung“ zuzuordnen ist, – wie es die Polizei selbst formuliert –, damit rechnen, den Abend auf einer Wache zu verbringen, wenn er keinen großen Bogen um den Platz macht. So wie der Emder Rolf Bahlo, der seit kurzem ein Tattoo-Studio in der Nähe betreibt. „Man ist gezwungen, auf dem Heimweg einen Umweg zu gehen“, erzählt er. Und selbst wenn im „Insbeth“ gezecht wird, durchaus gesittet und bezahlt, kann es passieren, dass das Bier nicht unbehelligt ausgetrunken werden kann. „Die holten alles raus, was irgendwie nach links-alternativer Szene aussah – selbst Studenten mit langen Haaren“, schildert Bahlo seine Erlebnisse. Sogar in den angrenzenden Straßen würden Leute abgegriffen oder mit Platzverweisen belegt.

Dass die Punks ein fester Bestandteil Ottensens sind, hat seine Geschichte: 1980 erfasste die Street-Punk-Kultur auch Hamburg. Zunächst etablierte sich die neue Szene im näher am Zentrum gelegenen Karolinenviertel. Als es nach einer Demo gegen Franz Josef Strauß zu Krawallen kam und Punks im gutbürgerlichen Pöseldorf Jagd machten auf „Popper“ (oder was sie dafür hielten), setzte ein regelrechter Polizeiterror gegen die neue Kultur ein – heftig angeheizt übrigens von der örtlichen Bild-Zeitung.

Die Punks wichen nach Ottensen aus. Als auch dort, auf dem Spritzenplatz, die staatliche Vertreibungswelle einsetzte, lehnten sich die AnwohnerInnen auf, es kam es zu einer ungeahnten Welle von Bürgerprotesten. Die Punks gaben ihr eigenes Magazin Hungrige Herzen heraus, das Bezirksamt Altona setzte fortan auf Straßensozialarbeit. Dort konnte man sich bisher damit rühmen, dass die Streetworker die Szene nicht nur im Griff hatten, sondern auch von ihr akzeptiert wurden. Ob das nach dem jüngsten Vorgehen der Polizei noch lange der Fall sein wird, ist eher fraglich.

Magda Schneider