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Archiv-Artikel

ZWISCHEN DEN RILLENSeltsam und süßlich

Im Video zu „Drumming Song“ spielt sie eine Nonne, in der nächsten Szene tanzt sie unbeholfen Pornopop-Choreografien. Ist das Ironie?

Im Pop stellt sich ja immer auch die – nur scheinbar einfache – Frage nach cool oder uncool. Da kann die Musik noch so gut sein, wenn das Image nicht stimmt, ist es aussichtslos, sich mit Werk und Künstler zu identifizieren. Bei Florence & the Mashine ist die Coolness-Frage schwierig zu beantworten. Ihre Single „Kiss with a fist“ verfolgt uns seit Wochen im Fernsehen und aus offenen Fenstern. Zur belanglosen bis nervtötenden Lalala-Melodie singt Florence Welsh die merkwürdige Zeile: „A kick in the teeth is good for some / A kiss with a fist is better then none“. Umso erleichternder ist es, das ganze Album durchzuhören, denn „Lungs“ ist nicht zur Gänze furchtbar.

Die 23-jährige Kunststudentin aus Südlondon hat ein Debütalbum heraus gebracht, das schon mit Spannung erwartet wurde. Denn, wie zuletzt Adele, wurde auch Florence mit dem „Critics Choice“ Brit Award ausgezeichnet. Einem Preis, der Künstlern vorbehalten ist, die noch keine Musik veröffentlicht haben. Den großen Erwartungen wird sie scheinbar gerecht. Bisher hat sich jede Single aus „Lungs“ in den englischen Charts platziert. Die Musik ist euphorisierend und leicht tänzelnd sommerlich. Dafür sorgen Streicher, Harfen und eine treibende Rhythmik. Es gibt Momente größter Harmonie. Dann wieder liegt eine altertümliche Schwere auf allem. Dazu die schöne, wenn auch nicht bemerkenswerte Stimme von Welsh, die von hoch zu tief, von sanft zu hysterisch changiert. Alles wirklich schön, trotzdem kommen Zweifel auf: Ist dieses Album nicht auch dünn und absehbar? So sauber und glatt produziert, dass es beinahe durchsichtig wirkt? Vergleiche mit PJ Harvey oder Janis Joplin sind deswegen schon fast ärgerlich.

Nach dem vierten Hören hat man das Gefühl, es gäbe in den Powerpop-Balladen nichts mehr zu entdecken. Das Songmaterial scheint etwas aufgeblasen. Die Musik, die Texte, die Geschichten um die Künstlerin, alles ist von einem künstlichen Drama umgeben. Die Homepage und das Cover-Artwork sind in einer morbiden, aber dennoch sauberen Ästhetik gestaltet. Kaputte Puppen, eine Lunge aus Leder und eine verzerrt schauende Florence in Secondhand-Chic vor erdfarbenen Wänden. Vielleicht könnte man das den Newest Romantic Look nennen.

Ihre Texte deuten vieles an, ohne dabei klare Aussagen zu machen. Geheimnisvoll singt sie über Freunde, die Särge bauen, über Mädchen, denen unter den Rock gefasst wird, und über Tod, Heilige und Fesseln. Das Album handle nur von Liebe und Schmerz, steht auf ihrer Homepage und, dass das alles nicht exzentrisch, sondern nur gefühlsbetont sei. Man könnte es allerdings auch Effekthascherei nennen.

Florence mag sich wohl nicht so richtig festlegen. Sie sei extrovertiert und genauso introvertiert, lässt man sie sagen. Im Video zu „Drumming Song“ spielt sie eine Nonne und muss dann in der nächsten Szene unbeholfen in Stilettos und Hotpants Pornopop-Choreografien tanzen. Ist das Ironie? In der Erzählung ihres kurzen Lebens wird der Gegenentwurf zum Plastik-Popstar ziemlich fokussiert. Skatepunk sei sie mal gewesen, ihre Lieder schreibe sie am liebsten betrunken, und im College sei sie aufgefallen, weil sie ein Zelt unter dem Tisch aufgebaut hat, um ihren Kater darin auszukurieren. Dem Lehrer hat sie erzählt, das sei halt eine Installation. Was ihrer Entdeckung anbelangt, wird es dann richtig blöde: Sie sei aus einer Clubtoilette heraus gebucht worden, auf der sie besoffen Motown-Soulsongs sang.

Florence wird zum seltsamen Mädchen im Blümchenkleid gemacht. Ein Paket, das sich sicherlich gut an unentschlossene Studentinnen verkaufen lässt. Der ohne Frage talentierten Musikerin wird man damit aber nicht gerecht. Cool wird sie wahrscheinlich erst werden können, wenn Album Nummer zwei bei einem kleineren Label erscheint.LAURA EWERT

■ Florence & the Mashine, „Lungs“ (Island/Universal)