: Vergiftetes Lob
ANTISEMITISMUS Stefan Möschs Studie über die Entstehungsbedingungen von „Parsifal“ wirft ein neues Licht auf die Familie Wagner
Bei den Bayreuther Festspielen stand er wieder auf dem Spielplan. „Parsifal“, Richard Wagners Schwanengesang, sein Opus Magnum, verhandelt letzte Dinge: Erlösung und Heilung der Wunden des Menschseins. Daher wollte der Meister „Parsifal“ auch als „Bühnenweihfestspiel“ verstanden wissen und überbot damit sein Ideal vom „Gesamtkunstwerk“ nochmals um eine religiöse Dimension. Musiktheater als mystisches Ritual.
Regisseur Stefan Herheim zeigt „Parsifal“ in seiner im vergangenen Jahr herausgebrachten Inszenierung als nachtschwarze Zeitreise durch die deutsche Vergangenheit. Einmal mehr legt ein Regisseur damit den Finger in die ewig schwärende Wagner-Wunde selbst: den bekennenden Antisemitismus des Großkünstlers und die fatale Verstrickung seiner Familie in den Nationalsozialismus.
Nicht zuletzt deshalb polarisiert Wagner bis heute. An seiner antisemitischen Grundhaltung kann nicht der geringste Zweifel bestehen, allein seine bereits 1850 veröffentlichte Hetzschrift über das „Judentum in der Musik“ belegt sein Ressentiment eindeutig. Diesem Gesinnungstatbestand zum Trotz galt sein Werk bislang allgemein als erhaben über den eigenen Ungeist und nicht kontaminiert von der privaten Haltung. Wagners regelmäßige Zusammenarbeit mit jüdischen Musikern schien die Trennung von Leben und Werk zu belegen und die Kritik am Ressentiment zugleich abzumildern.
Obwohl noch immer Zeugnisse unter Verschluss sind, ist Wagners Antisemitismus bereits erschöpfend behandelt worden. Auch über „Parsifal“ türmt sich die Literatur. Doch nun hat Stephan Mösch, Musikwissenschaftler und Herausgeber der Zeitschrift Opernwelt, mit „Weihe, Werkstatt, Wirklichkeit“ eine Studie vorgelegt, die die Diskussion noch einmal ganz neu aufmischen dürfte. Detail- und faktenreich weist Mösch anhand der Entstehungs- und Aufführungsgeschichte des „Parsifal“ unter Auswertung bislang nicht beachteter Quellen nach, dass der Antisemitismus des Ehepaars Wagner weit über eine rein private Weltanschauung hinausreichte und nahtlos in die ästhetischen Überzeugungen und damit in die künstlerische Arbeit in Bayreuth überging.
Am Beispiel des Dauerkonflikts mit dem jüdischen Uraufführungsdirigenten Hermann Levi, der „Parsifal“ von 1882 bis 1894 leitete, beleuchtet Mösch die ambivalente Haltung der Wagners, die man als perfide kalkulierte Doppelstrategie bezeichnen könnte: judenfeindliches Ressentiment gegen den vom bayerischen König und Geldgeber Ludwig II. geförderten Levi auf der einen und fachliche Wertschätzung auf der anderen Seite. Anhand des Briefwechsels von Cosima Wagner mit Levi zeichnet Mösch akribisch nach, wie vergiftet das Lob der Wagners für Levi war. Trotz der gönnerhaft attestierten „musikalischen Fähigkeiten“ sprachen die Wagners Levi konsequent ab, aufgrund des „Fluchs seines Stammes“ das Geheimnis des „Parsifal“ in seiner ganzen Tiefe nachempfinden zu können. Die Wagners attackierten Levi mit antisemitischen Stereotypen wie „musikalischer Glätte“ und „leerer Eleganz“ und beschworen ihn, seine jüdische Identität abzulegen, das heißt, sich taufen zu lassen. „Parsifal“ sollte Levi gewissermaßen von seinem Judentum erlösen.
Neben Cosimas Briefwechsel mit Levi wertet Mösch auch Briefe der ersten „Kundry“-Sängerin Marianne Brandt und die Tagebücher des Dirigenten Felix Mottl und des Komponisten Wilhelm Kienzel aus. Damit gelingt es ihm, die Uraufführungsbedingungen exakt zu rekonstruieren und Wagner auch als überraschend nüchternen Pragmatiker und unsicheren, keineswegs allwissenden Künstler darzustellen. Mösch schreibt spannend und anschaulich, methodisch exemplarisch verbinden sich in seinem interdisziplinären Ansatz Aufführungsgeschichte, Rezeption, Musik - und Theaterwissenschaften und nicht zuletzt Ideengeschichte zu einem komplexen Tableau. Ein Muss für Wagnerianer und Skeptiker gleichermaßen. REGINE MÜLLER
■ Stefan Mösch: „Weihe, Werkstatt, Wirklichkeit. Wagners ‚Parsifal‘ in Bayreuth 1882–1932“. Bärenreiter, Kassel 2009, 455 S., 59 €