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Archiv-Artikel

Gebäck und Speck und ein Gnu

Das Glück ist eine Tüte: „Wir waren auch in Zucker und Butter“, der neue Abend von Cora Frost in der Bar jeder Vernunft, war ziemlich heiter und wenig corafrostig

Einmal an diesem Abend schwebt eine weiße Plastiktüte langsam herab. Hängt an einem Faden, kommt herunter von der obersten Spitze des Spiegelzelts, und als sie so etwa mittig ist, ruft Cora Frost: „Da! Das Glück!“ Ganz so hat sie es sich zwar nicht vorgestellt, aber bald entschwindet es wieder: Wie es eben so ist mit dem Glück bei Cora Frost, denkt man sich. Das wächst immer aus den Abgründen, wird herangeraunt und innig besungen und ist dann auch schon wieder fort. Dabei soll es an diesem Abend ganz anders sein. „Wir waren auch in Zucker und Butter“, die Premiere von Cora Frost in der Bar jeder Vernunft, ist mit „SingSangSong Abend“ unterschrieben. Er wird ziemlich heiter. Und er hat ziemlich wenig von diesem Corafrostigen an Cora Frost.

„Endlich mal wieder ein so ein richtiger Premierenabend“, heißt es im Vorübergehen aus der Menge: Irgendwie sind alle da, um den amtierenden Bürgermeister im Foyer blitzt es hell, auch sonst gibt es Platzprobleme, und dann soll ja noch Alice kommen, Alice Schwarzer also, der Bühnengast. Zunächst aber Cora Frost – Pianisten, Gitarristen und Schlagzeuger dazu – die Blondperücke auf dem Kopf, ein Haarteil um den Hals, eine gigantisch gelockte Loreley, die – „I’ve got Erection“ singt. Sie rockt, belebt den deutschen Ringeltanz, es wird polkaesk, es folgen osteuropäische Klänge. Viel Aktionismus auf der Bühne, und wer an nichts mehr glaubt, darf sich die großen Errungenschaften der Menschheit vor Augen führen: etwa den Eierschneider.

Oder sich an das Lachen von Alice erinnern. Der Gast auf der Bühne, das ist ein „Fest für Alice“, oder genauer: „ein Loblied für Alice“, das dann beide gemeinsam über geschichtete Streicherklänge hinweg sprechen. Wie sie sich mit der „Kraft blitzender Brillengläser“ bewaffnete, nach Paris ging, das Brot auf die weiße Tischdecke bröselte, „die weiße Sonne, die Friedhöfe, der Existentialismus“: die Eckdaten der Ikone des Feminismus. Das Legendäre ist ein wenig sonderbar, weil die Legende ja noch daneben steht. So schnell ist eine Position ins Fashionable überführt. „Es ist mir nicht unangenehm: Ich lob und lob und lob sie“, sagt Cora Frost, ein wenig zu persistent, und Alice Schwarzers letzte Worte versuchen recht konsequent, das Statische in Bewegung zu überführen: „Ich kann einfach nicht die Klappe halten, und ich habe nicht die Absicht, damit aufzuhören.“

Noch immer legt Cora Frost diesen nasalen Jahrmarktschlenker in die Stimme. Wie sie in „Wir waren auch in Zucker und Butter“ von „wurde es uns weggenommen oder ist es weggeschwommen, wird es einmal wiederkommen“ in den Refrain „ohhch, das ist so schade“ hineinslurred etwa: „Schade, schade“ nach Mano Chao. Da wird es plötzlich auch sehr böse hinter all der Heiterkeit, spöttisch eben zu den Jammerern hin, zu dem Standardsatz „Berlin ist nicht mehr Berlin“. Was für ein blödes Sehnen, und: Wo sehnt es sich hin? „Wir lagen in Torten und Kuchen, und konnten so vieles versuchen, wir hatten den Bauch immer schön volle Gebäck und wenn wir lachten, da wibbelte der Speck.“ Ach, die fetten Jahre.

Und dann gibt es sie doch, die leisen Momente, das Geraune, das Hingezirpte und die Atemlosigkeit. Wenn etwa Cora Frost „Die Dünne“ bestaunt, die wie „ein Gnu aus der Nacht“ springt und schlafen geht, „wenn der Mond in ihrem Glas versinkt“. Was gäbe sie nicht für den Kuss von der Dünnen. Und da wird es schon corafrostig, und das ist schön: Wie sie zur Chronistin von etwas wird, was nur sie selbst sieht. Das dann heranschwingt wie das Glück – und wieder verschwindet. KATRIN KRUSE

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