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WirtschaftVertrauen zerstören als Geschäftsprinzip

Bosch hat einmal viel Wert auf soziale Verantwortung gelegt. Nun aber werden Standorte ohne Not dichtgemacht, Arbeitsplätze gestrichen. Die neue Boschwelt prägen Manager, die mit der alten nichts zu tun haben wollen. Und die sich praktischerweise selbst kontrollieren.

Führungsproblem: „Robert, komm zurück“ wünschen sich Mitarbeitende von Bosch Power Tools, Leinfelden, im Mai 2025. Foto: Jens Volle

Von Gastautor Manfred G. Lieb

Die wirtschaftliche Situation der Stadt Stuttgart und des Landes Baden-Württemberg war bisher geprägt von gut aufgestellten Unternehmen, sehr gut ausgebildeten Beschäftigten und die dadurch erreichten guten Marktstellungen. Ein Grund des Erfolgsgeheimnisses lag auch darin, dass einige der großen Unternehmen keine direkte und starke Abhängigkeit vom Kapitalmarkt hatten. Diese Unternehmen – hier sind zu nennen die Bosch GmbH aus Gerlingen, die Mahle GmbH aus Stuttgart und die ZF AG aus Friedrichshafen – sind im Eigentum einer gemeinnützigen Stiftung. Dieses Eigentumsverhältnis erlaubt es den Unternehmen, ihre Gewinne größtenteils zu reinvestieren, da sie keine Kapitalabflüsse wegen hoher Dividenden oder gar, wie bei der Mercedes-Benz AG, durch Aktienrückkäufe zu tragen haben. Seit einiger Zeit sind die Nachrichten aus diesen Stiftungsunternehmen jedoch sehr negativ. Arbeitsplatzabbau oder gar Existenzgefährdung werden verkündet und diskutiert.

So plant Bosch, bis Ende 2030 rund 13.000 Stellen in Deutschland abzubauen, was zehn Prozent der Beschäftigten entspricht. Begründet wird das mit der Transformation und der Marktentwicklung. Allerdings werden nicht nur ganze Sparten komplett geschlossen, vieles wird ins Ausland verlagert. Zum Beispiel gehen Bosch Power Tools, also Werkzeuge, die bislang in Leinfelden und Sebnitz produziert wurden, nach Ungarn. Die Stecker von Power Solutions in Waiblingen sollen in Thailand produziert werden. Dabei ist Bosch weit entfernt von roten Zahlen.

Bosch-Werte perdu

Das Image der Robert Bosch GmbH geht bis heute zurück auf die Person des Gründers. Sein bekannter Merksatz „Lieber Geld verlieren als Vertrauen“ hatte die Aktivitäten des Unternehmens und vor allem die Unternehmenskultur geprägt. Wer heute über Bosch in den Medien liest, der kommt nicht umhin, den Widerspruch zwischen diesem Leitsatz und dem Handeln der Unternehmensführung zu sehen. Derzeit verliert das Unternehmen Vertrauen in der Öffentlichkeit und bei seinen Mitarbeiter:innen. Dass die bei Protesten symbolisch nach Robert Bosch verlangen, verwundert nicht.

Ein zweiter Leitsatz von Robert Bosch lautete: „Eine anständige Art der Geschäftsführung ist auf die Dauer das Einträglichste.“ Auf der Website des Unternehmens ist zu lesen, wie dies umgesetzt werden soll. Wie alle großen Unternehmen verpflichtet sich die Robert Bosch GmbH auf große Ziele. In ihren Unternehmenswerten heißt es: „Durch wirtschaftlich, ökologisch und sozial verantwortliches Handeln wollen wir die Lebensqualität der Menschen verbessern und die Lebensgrundlagen heutiger und künftiger Generationen sichern.“ Zudem wird ein Ethos im Umgang mit Geschäftspartnern, Kapitalgebern, Mitarbeitern und der Gesellschaft beschworen.

Gewinne, von denen andere träumen

Auf dieser Basis hat das Unternehmen jahrzehntelang ein solides Fundament für eine werteorientierte Führung des Unternehmens gelegt und damit eine vertrauensvolle, bodenständige und von den Mitarbeitenden geschätzte Unternehmenskultur aufgebaut. Wer bei Bosch arbeitete, konnte sich auf die Einhaltung sozialer Grundsätze und auf eine gute berufliche Zukunft verlassen. Den nunmehr vom Stellenabbau betroffenen Mitarbeitenden und der allgemeinen Öffentlichkeit müssen die alten Bosch-Werte in der Zwischenzeit wie Hohn vorkommen, eine Verletzung grundlegender Vertrauens- und Verantwortungswerte ist offensichtlich.

Lässt sich dieses Handeln der Bosch-Geschäftsführung mit wirtschaftlichen Problemen begründen? Natürlich muss der Konzern eine Transformation durchmachen. Aber eine Sanierungsnotwendigkeit ist nicht zu erkennen. 2023 lag der Gewinn bei fast 5 Milliarden Euro, 2024 immer noch bei 3,1 Milliarden Euro. 2024 hat die Unternehmung an die Stiftung 174,8 Millionen Euro gezahlt, der Rest des Gewinnes – 2,9 Milliarden Euro – wurde reinvestiert. Insofern scheinen genügend finanzielle Mittel für den Transformationsprozess vorhanden zu sein. Zudem wurden 2024/2025 für die Übernahme des Heizungs-, Lüftungs- und Klimalösungsgeschäftes der Firma Johnson Controls 7,4 Milliarden Euro ausgegeben.

Als weiterer Aspekt ist anzumerken, dass die Konstruktion der gemeinnützigen Stiftung als Eigentümerin auch steuerliche Vorteile bringt. Die Zuwendungen an die Stiftung, also praktisch die Dividende, sind sowohl von der Körperschaftssteuer als auch von der Kapitalertragssteuer befreit. Die Stiftung selbst zahlt darüber hinaus sowieso keine Gewerbesteuer, der wieder reinvestierte Gewinn ist nicht steuerpflichtig. Die Robert Bosch GmbH zahlt natürlich auf ihren Gewinn Gewerbesteuer und auch Körperschaftssteuer, aber die bei einer Ausschüttung ansonsten anfallende Steuer für die Eigentümer, die bei Privatpersonen circa 25 Prozent beträgt, entfällt.

Bei Bosch kontrolliert die Geschäftsführung sich selbst

Es stellt sich die Frage, warum die Unternehmensführung aktuell die gewachsene Kultur des Unternehmens zerstört, warum keine sozial anständige Transformation angestrebt wird. Offensichtlich scheinen die handelnden Manager zu wenig Fantasie oder Innovationsbereitschaft zu haben. Sie versuchen, auf dem üblichen Weg – zum Beispiel durch Produktionsverlagerung nach Ungarn und Kostensenkung durch Personalabbau – eine Low-Cost-Strategie umzusetzen. Offenbar soll die schon ordentliche Rendite nach oben getrieben werden. Damit sind die alten Boschwerte nur noch ein Klotz am Bein. Dem Management scheint eine Transformation zu einem kapitalgetriebenen Profitmaximierer vorzuschweben.

Welche Folgen solche Entscheidungen haben, scheint nicht bedacht worden zu sein – oder sie sind den handelnden Personen egal. Die Schließung des Werkes in Sebnitz bedeutet eine wirtschaftliche Katastrophe für diese Region in Sachsen. Es ist nicht bekannt, ob Bosch bei der Übernahme des Werkes in Sebnitz staatliche Gelder bekommen hat, es war aber sicherlich eine – bei der Treuhand übliche – Form des Geschäftes, bei der staatliche Hilfen involviert waren. Die Folgen der Sparpolitik mögen in Waiblingen, Schorndorf, Reutlingen oder Filderstadt nicht so gewaltig sein wie in Sebnitz, aber sowohl das Vertrauen der Belegschaft als auch die wirtschaftlichen Folgen für diese Regionen sind durchaus bedenklich.

Die Frage stellt sich, welche Personen, welche Unternehmensorgane solche Entscheidungen treffen. Auch hier ist Bosch sehr speziell. Durch die Konstruktion der gemeinnützigen Stiftung als Eigentümerin ergeben sich einige Besonderheiten in der Entscheidungsfindung im Konzern.

Unternehmen mit einer gemeinnützigen Stiftung als Eigentümerin sind mit speziellen Unternehmensorganen ausgestattet. Hier gibt es verschiedene Modelle; der Kern basiert auf der Idee, dass Eigentum und die Verfügung darüber, also die Stimmrechte, getrennt werden. Wer die Stimmrechte hat, hat das Sagen. Beim Boschkonzern sieht das folgendermaßen aus:

93,99 Prozent der Eigentumsanteile an der Robert Bosch GmbH werden von der gemeinnützigen Robert-Bosch-Stiftung gehalten. 5,4 Prozent der Anteile hält eine Gesellschaft, die im Eigentum der Robert-Bosch-Erben ist. Die restlichen 0,6 Prozent der Anteile werden von der GmbH selbst gehalten, und 0,01 Prozent der Anteile liegen bei einer Firma namens Robert Bosch Industrietreuhand KG.

Ganz anders ist die Verteilung der Stimmrechte: Die Stiftung hat keine Stimmrechte, 93,17 Prozent der Stimmrechte liegen bei der Industrietreuhand KG. Die restlichen 6,83 Prozent der Stimmrechte werden von der Familie Bosch ausgeübt. Damit ist klar: Die Entscheidungsgewalt liegt bei der Industrietreuhand. Die wiederum ist die Gesellschafterversammlung der Robert Bosch GmbH, also das, was bei einer Aktiengesellschaft die Hauptversammlung ist. Hier werden die entscheidenden Beschlüsse gefasst. Die Aufgaben der Industrietreuhand sind unter anderem die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung sowie die Überwachung und Entlastung der Geschäftsführung. Zudem kann die Treuhand der Geschäftsführung Weisungen erteilen. Die Feststellung des Jahresabschlusses und die Beschlussfassung über die Gewinnverwendung werden ebenfalls hier entschieden.

Bei der Robert Bosch GmbH treten bei näherem Hinsehen einige überraschende Fakten auf. Die Industrietreuhand KG besteht aus zehn Personen, unter ihnen Stefan Hartung und Christian Fischer. Hartung ist zugleich Vorsitzender der Geschäftsführung, Fischer in der Bosch GmbH sein Stellvertreter. Und der frühere stellvertretende Geschäftsführer Stefan Asenkerschbaumer ist aktuell der Vorsitzende der Treuhand KG. Als Vertreter der Familie ist Christof Bosch ebenfalls Mitglied.

Weit entfernt von guter Unternehmensführung

Die restlichen sechs Männer in der Treuhand kommen von außerhalb des Boschimperiums: von der Zeiss-Stiftung, der Schwarz-Stiftung, ein ehemaliger Festo-Vorstandsvorsitzender ist dabei, zwei honorige Professoren, ein rechtskonservativer Politiker der Schweizer Volkspartei und mit Gerd Chrzanowski der Leiter der Schwarz-Gruppe, Heilbronn.

Und das bedeutet: Die Geschäftsführungsmitglieder kontrollieren und entlasten sich praktisch selbst. Vermutlich werden die Mitglieder der Geschäftsführung bei der Entlastung nicht mitstimmen, aber dies ist letztendlich ein rechtlicher und formaler Vorgang. Die Regierungskommission „Deutscher Corporate Governance Kodex“ hat 2022 ein Regelwerk für deutsche Unternehmen erarbeitet, um eine sogenannte „gute Unternehmensführung“ sicherzustellen. Auch wenn der Kodex nur eine Empfehlung ist – angesichts der Strukturen lässt sich bei der Robert Bosch GmbH durchaus von „schlechter Unternehmensführung“ sprechen. Auch dass sechs Treuhand-Mitglieder gleichzeitig im Aufsichtsrat der Robert Bosch GmbH sitzen, spricht nicht gerade für unabhängige Kontrollorgane. Nebenbei: Aufsichtsratsposten sind gut dotiert, 2024 flossen insgesamt 2 Millionen Euro an die Aufsichtsratsmitglieder. Vorsitzender ist übrigens Stefan Asenkerschbaumer, der auch der Treuhand KG vorsitzt.

Die Entscheidungen der Treuhand sind nicht öffentlich, es gibt keine öffentlich einsehbaren Protokolle, es gibt auch keine Pressemitteilungen. Die zehn Männer diskutieren und entscheiden ohne jede Form der öffentlichen Kontrolle. Zentrale Aspekte von Vertrauen, also Transparenz und Partizipation, sind ganz offensichtlich nicht gewollt.

Man braucht beim Blick auf die Mitglieder der Treuhand keine sonderlich große Fantasie um sich vorzustellen, nach welchem Wertekanon, nach welcher Lebenserfahrung und nach welchen Zielvorstellungen dort Entscheidungen getroffen werden. Eine solche „Inzuchtveranstaltung“ (im Fachsprech „Groupthink“) erklärt die soziale Kälte, die unanständige Art der Transformation und auch die Brutalität der Entscheidungen. Natürlich ist es spekulativ, aber alles, was man über Robert Bosch weiß: Solche Leute hätte er nicht beschäftigt.

Manfred G. Lieb studierte, promovierte und lehrte unter anderem an der Hochschule Heilbronn im Fach Betriebswirtschaftslehre.

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