Gesellschaft: Stuttgart könnte noch teurer werden
Die Sparvorschläge der Verwaltung haben es in sich. Wohnen, Bauen, Schwimmen, Sterben kosten vielleicht bald mehr. Entschieden wird kurz vor Weihnachten.
Von Jürgen Brand
Stuttgart muss sparen. Das heißt nicht, dass der Stadt das Geld gleich ganz ausgeht. Aber vielleicht hatten sich die Verantwortlichen in den vergangenen Jahren ein bisschen zu sehr daran gewöhnt, immer mal wieder etwas mehr als andere zu haben. Das Geld ist dann gerne mal für alles Mögliche ausgegeben worden, manchmal auch gießkannenmäßig. Das treibt entsprechend Blüten. Jetzt schwächelt – eigentlich wenig überraschend – die Automobilindustrie, die Gewerbesteuereinnahmen brechen ein, vielleicht auch durch das Ausnutzen von Sondereffekten durch die Unternehmen, das Aufstellen eines genehmigungsfähigen städtischen Haushaltsplans wird ungleich schwieriger. Auch, weil den Kommunen von Bund und Land immer mehr Aufgaben zugeordnet werden, die Finanzierung aber nicht in gleichem Maße erhöht wird. Also muss gekürzt werden. Nach der Gießkanne kommt jetzt der Rasenmäher. Beides ist wenig zielgerichtet, schon gar nicht zukunftsorientiert. Aber entschieden ist noch nichts, das passiert erst am 19.12., also kurz vor Weihnachten.
Es liegen schon jede Menge Sparvorschläge vor, auch die sogenannte „Giftliste“ der Stadtverwaltung. Sie hat es in sich: Käme es wirklich so, würde das Leben in Stuttgart noch teurer werden: Wohnen, Bauen, Parken, Schwimmen, Sterben. Um nur einige der betroffenen Bereiche zu nennen.
„Giftliste“ mit Wumms
Die Auswirkungen sind auf dieser Liste in Tabellenform nicht unbedingt auf den ersten Blick zu erkennen. Ein ganz kleines Beispiel: Bei in diesen Zeiten des menschengemachten Klimawandels häufiger und heftiger werdenden „Starkregenereignissen“ kann es auch mal durch eines der gar nicht so wenigen alten Dächer in der Landeshauptstadt reinregnen. Das sollte dann schleunigst in Ordnung gebracht werden, also muss der Dachdecker mit einem Kran kommen. Dafür braucht er Platz, zwei Parkplätze auf der Straße reichen in etwa. Diese regelkonform zu sperren, ist aber nicht so einfach: Der Antrag dafür muss mindestens (!) zwei Wochen vorher beim Amt für öffentliche Ordnung gestellt werden, was bei vom Wetter abhängigen Arbeiten fast absurd erscheint. Den Antrag darf nicht der Hauseigentümer, sondern nur die beauftragte Firma oder eine – dann zusätzlich zu beauftragende – „Fachfirma für Verkehrssicherung“ stellen, inklusive „qualifiziertem Verkehrszeichenplan“ im Maßstab 1:500 (die Grundlage dafür gibt es gegen Gebühr bei der Stadt) und Schulungsnachweisen für Mitarbeiter der beauftragten Firmen (MVAS oder RSA21). Schon allein dieses Prozedere macht Bauen in der Stadt teurer. Und auch deswegen haben immer mehr Firmen von außerhalb immer weniger Lust, Aufträge in der Landeshauptstadt überhaupt anzunehmen. Die Genehmigung für die Sperrung der Parkplätze kostet natürlich Geld, es werden sogenannte „Sondernutzungsgebühren“ fällig. Und genau diese sollen laut der Giftliste pauschal um 25 Prozent erhöht werden.
Wohnen ganz allgemein und die hohen Mieten sind ein Dauerthema in Stuttgart. Über die Mietnebenkosten wird dabei eher seltener gesprochen. Zwar gibt es eine Mietpreisbremse, aber eben keine Mietnebenkostenbremse. Die Nebenkosten könnten durch einen der Sparvorschläge der Stadtverwaltung aber weiter steigen. Wenn es denn so kommt, würde der Grundsteuerhebesatz um 20 auf 180 Prozent erhöht. Folglich würde die Grundsteuer steigen. Und da diese zu den „umlagefähigen Betriebskosten“ einer Wohnung gehört, bezahlen sie in der Regel die Mieter. Das ist dann zwar nicht viel, manchmal nur im einstelligen Euro-Bereich. Aber es läppert sich halt zusammen.
Und um beim Thema Wohnen zu bleiben: Beim Amt für Umweltschutz sollen Fördermittel gekürzt werden. Aktuell gibt es Geld von der Stadt beispielsweise bei der Solaroffensive, im Heizungsprogramm, im Energiesparprogramm oder in Form der Abwrackprämie etwa beim Kauf eines neuen, energiesparenden Kühlschranks. Das alles macht Wohnen und Modernisieren günstiger. Aber vermutlich nicht alles wird das Streichkonzert überstehen.
Die Folgen: eindeutig unsozial
Weitere Beispiele aus anderen Lebensbereichen: Der Eigenbetrieb Stuttgarter Bäder soll laut Vorschlag jedes Jahr eine Million Euro weniger bekommen. „Aus Sicht der Finanzverwaltung sind allgemeine Ausgabenkürzungen oder weitere Eintrittspreiserhöhungen erforderlich“, heißt es inder Giftliste. Eine kurz andiskutierte Bad-Schließung in Möhringen ist zwar vom Tisch, Schwimmen im Hallenbad Heslach, im Berg oder im Leuze könnten aber teurer werden.
Für das „Friedhofs- und Bestattungswesen“ wird eine pauschale Erhöhung der Gebühren um zehn Prozent vorgeschlagen. Auch Sterben könnte also mehr ins Geld gehen.
In den Schulen soll am Reinigungsbudget gespart werden, was die Schultoiletten nicht zwingend hygienischer machen würde. Die Sportförderung könnte pauschal um 20 Prozent gekürzt werden, was nicht nur die vielen Stuttgarter Vereine hart treffen würde, sondern auch so erfolgreiche Aktionen wie das Interims-Basketballfeld beim Jugendhaus in Stuttgart-Ost, das von Jugendlichen super angenommen wurde. Hart könnte es auch für die vielen kleinen Theater und manche oft unter dem Radar der großen Öffentlichkeit laufenden Kulturangebote werden: Die Kulturförderung soll um knapp vier Millionen Euro reduziert werden, gleichzeitig heißt es in dem Vorschlag: „Eine moderate Erhöhung der Gebühren ist notwendig, um den gestiegenen Betriebskosten gerecht zu werden und die Qualität des kulturellen Angebots sicherzustellen.“ Also nicht nur weniger Geld für die Kultur, sondern vielleicht auch noch höhere Eintrittspreise.
Eine vermeintlich kleinere Sparmaßnahme wäre für die betroffenen Menschen und Einrichtungen durchaus schlimmer, als man auf den ersten Blick vielleicht denkt: 87.000 Euro proJahr sollen beim Jobcenter eingespart werden, um die sogenannten „Tagesstrukturierenden Angebote“ um zehn Prozent zu reduzieren. Mit solchen Angeboten bekommen Menschen mit Behinderung, psychischer Erkrankung oder auch Langzeitarbeitslose die Möglichkeit einer sinnvollen Beschäftigung, egal ob in Tagesstätten oder auch Sozialkaufhäusern. So werden ihre Tage ein bisschen strukturiert, sie haben eine gewisse gesellschaftliche Teilhabe, was wiederum das Selbstwertgefühl stabilisiert und vielleicht sogar irgendwann wieder zu einer dauerhaften Beschäftigung führt. 87.000 Euro klingt nach wenig angesichts der Millionensummen, um die es im Haushalt geht. Die Folgen wären aber eindeutig unsozial und kosten schlechtestenfalls mittelfristig mehr, als kurzfristig gespart wurde.
Entschieden ist das alles noch lange nicht. In den kommenden Wochen bis 19. Dezember werden die Gemeinderatsfraktionen noch viele Stunden mit sich und den politischen Gegnern und Verbündeten um viele hundert Millionen Euro ringen. Dass das Leben in Stuttgart aber teurer und weniger sozial wird, scheint schon fast sicher zu sein. Alexander Kotz, Vorsitzender der CDU-Gemeinderatsfraktion, sagt dazu: „Wir hätten uns das gerne alles anders gewünscht, aber die finanziellen Rahmenbedingungen lassen leider nichts anderes zu, als auch schmerzlich zu sparen. Wir versuchen dies aber weiter in den nächsten Wochen ausgewogen zu gestalten. Was wirklich wo reduziert wird und welche Einnahmen der Stadt steigen werden, wird sich final erst am 19.12. sagen lassen.“
Grüne: „Die Stadt ist mehr oder minder pleite“
Hannes Rockenbauch, Fraktionsvorsitzender von Die Linke SÖS Plus, sieht zwar, dass die Kommunen am Limit sind. Ziel von Rockenbauch und seiner Fraktion in den Haushaltsberatungen ist aber, Geld umzuverteilen, sodass gerade im sozialen Bereich nicht gekürzt werden muss. Dazu gehört, auf Groß- und Prestigeprojekte zu verzichten oder sie zu verschieben.
So könnte etwa ein niedriger zweistelliger Millionenbetrag für das Rosensteinviertel in Form von Personal auf andere, schneller zu verwirklichende Wohnungsbauprojekte wie das Stöckach-Areal in Stuttgart-Ost umgeleitet werden. Höhere Parkgebühren und eine Nahverkehrsabgabe könnten dafür genutzt werden, ÖPNV-Tickets günstiger, für Kinder sogar kostenlos zu machen. Andere zusätzliche Einnahmen wie etwa durch eine Gewerbesteuer nach Münchner Modell könnten Kürzungen im Bonuscard-Bereich oder höhere Kita-Gebühren verhindern. Rockenbauch kritisiert dabei vor allem die Grünen, die ohne Not eine Zusammenarbeit mit der CDU eingegangen wären, obwohl es im Gemeinderat eine andere, öko-soziale Mehrheit geben würde. Rockenbauch: „Das hätte man politisch anders machen können.“ Und dann mit ganz anderen Gewichtungen beim Sparen und Umverteilen.
Petra Rühle, Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen, weist das zurück. Die Linksfraktion hätte schon vor der Sommerpause geäußert, dass nicht gespart werden müsse. „Die Vorschläge sind völlig unrealistisch“, sagt Rühle. Sie beschreibt die Situation ganz drastisch: „Die Stadt ist mehr oder minder pleite. Es wird zu Kürzungen kommen müssen.“ Über die Erhöhung der Grundsteuer müsse noch gesprochen, auch bei der Kultur müsse noch gespart werden. Bei Förderungen unter 20.000 Euro werde es keine Kürzungen geben, darüber allerdings sechs Prozent. „Das wird viele schwer treffen, vor allem auch die Größeren.“ Bei manchen Großprojekten ist Rühle dagegen nicht so weit von Hannes Rockenbauch entfernt: „Es wird einiges geschoben werden müssen. Rosenstein muss man sich definitiv anschauen.“
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