Ausverkauf eines Künstlerparadieses

Die Dada-Künstlerin Hannah Höch hinterließ Haus und Garten der Stadt. Die will beides nun verkaufen. Das denkmalgeschützte Areal ist gefährdet

„Es muss eine Debatte geben, wie man mit Höchs Vermächtnis umgehen will“

VON WALTRAUD SCHWAB

Die Berliner Politiker sind dabei, eine Riesendummheit zuzulassen: Die Stadt will das Haus und den Garten von Hannah Höch, einer der bekanntesten Berliner Künstlerinnen des letzten Jahrhunderts, verkaufen. Von 1939 bis zu ihrem Tod 1978 lebte sie in Heiligensee. Das Anwesen im Bezirk Reinickendorf, das Berlin von Höch vermacht wurde und das unter Denkmalschutz steht, wurde vor etwa fünf Jahren von Reinickendorf in den Immobilienfonds des Landes übereignet.

Heute will es niemand gewesen sein. Der Reinickendorfer Baustadtrat Michael Wegner (CDU) behauptet, der Bezirk hätte es in den Fonds einstellen müssen. Das stimmt so nicht, sagt der Reinickendorfer Abgeordnete im Abgeordnetenhaus, Oliver Schruoffeneger (Grüne). Grundstücke, die für eigene Zwecke gebraucht werden, könnten durchaus im Fachvermögen der Bezirke verbleiben. „Es bestand kein Anlass, ausgerechnet dieses Grundstück dem Liegenschaftsfonds zu übertragen. Unverständlich, dass der Bezirk das Pfund, mit dem er wuchern könnte, hergeben wollte“, meint auch Brigitte Lange, die kulturpolitische Sprecherin der SPD im Abgeordnetenhaus.

Hannah Höch hat die Berliner Dada-Bewegung mitbegründet und damit den radikalen Aufbruch in der deutschen Kunstentwicklung Anfang der Zwanzigerjahre mitinitiiert. Höchs eigenwilliges Genre sind dabei Collagen und Fotomontagen. Mit einer Akkuratesse, die eigentlich nicht zur Antikunst, die die Dadaisten propagierten, passen will, setzt sie zusammen, was nicht zusammen passt, und hebt so in ihren Werken die starre Ordnung der Verhältnisse auf. Heute schmücken sich die Berlinische Galerie und die Graphothek in Reinickendorf mit Werken der Künstlerin.

Geliebt wurde Höch für ihren Aufbruch in der Kunst früher nicht. Bei den Nazis landete ihr Werk direkt in der Kategorie „entartet“. Sie wurde als Kulturbolschewistin beschimpft und hatte Ausstellungsverbot. 1939 zog sie sich nach Heiligensee an den Stadtrand zurück und fristete ein bescheidenes Dasein. Am dortigen Friedhof hat sie Blumen verkauft und selbst gemachte Konfitüren. Erst Mitte der 60er-Jahre wurde Höch wiederentdeckt.

Höchs Vermächtnis an die Stadt ist neben ihrem Werk vor allem ihr Garten. Mit großem gestalterischem Gespür legte sie um das Haus im Uhrzeigersinn die Blütenpracht des Jahres an. Vom Januar mit seinen noch bescheidenen pastellfarbenen Scheeglöckchen über den immer üppiger werdenden Frühling, dessen Blütenpracht wie eine Explosion daherkommt und sich zum überbordenden Sommer wendet, in dem die Vegetation die Wärme festhalten will durch sattes, saftiges, ausuferndes Gelb und feuriges Rot, um langsam hineinzuschwingen ins schon das Vergehen ankündigende Violett. Danach kommt der Herbst und die Reife und die Ruhe, die sich im Winter über den ganzen Garten legt.

Mehr als 800 verschiedene Pflanzenarten kommen in Höchs Paradies vor. Zumindest hat Johannes Bauersachs diese Zahl einmal in die Runde geworfen, seither wird es so kolportiert. Bauersachs ist selbst Maler und wohnt seit 18 Jahren in Höchs ehemaligem Haus, malt in ihrem Atelier. Auflage des Mietverhältnisses ist es, dass er den Garten der Künstlerin in deren Sinne pflegt und erhält und ihn Gästen auf Anfrage zugänglich macht. Dies tut er mit großer Leidenschaft und Respekt.

Berlin, allen voran Reinickendorf, scheint das Vermächtnis der Künstlerin gleichgültig. Nur so kann der Beschluss erklärt werden, das Anwesen verscherbeln zu wollen. Zwar stand in der Ausschreibung, dass bei baulichen Veränderungen das Denkmalamt kontaktiert werden müsse, Schruoffeneger hält dies allerdings für einen Freibrief. Er hält den Käufer, den das Liegenschaftsamt an der Hand hat, für einen Investor, der darauf bauen will. Sonst gäbe man nicht so viel Geld. Eine Kaufsumme von 170.000 Euro ist im Gespräch. So viel soll das denkmalgeschützte Häuschen nicht wert sein.

Proteste der Reinickendorfer Bezirksverordnetenversammlung gab es nicht. Lapidar möchte sich der derzeitige Kulturstadtrat nun beim neuen Investor dafür stark machen, dass der Denkmalschutz für Haus und Garten erhalten bleibe. Thomas Gaudszun (CDU) ist der Meinung, der Kaufvertrag sei bereits perfekt. Das Liegenschaftsamt widerspricht und sagt, unterzeichnet sei noch nichts.

„Die können das doch nicht so klammheimlich verkaufen“, interveniert nun auch Alice Ströver, kulturpolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus. „Es muss eine öffentliche Debatte darüber geben, wie man mit dem Vermächtnis dieser wichtigen Berliner Künstlerin umgehen will.“

Haus und Garten gehören noch der Stadt und damit der Allgemeinheit. „Das muss eigentlich so bleiben“, meint der Maler Bauernsachs. Trotzdem hat er Geld aufgetrieben, um das Anwesen erwerben zu können mit der Versicherung, den Status quo zu erhalten. Nicht genug Geld. Der in Frage kommende Investor hat wohl ein besseres Angebot gemacht für das etwa 1.000 Quadratmeter große Grundstück.

Obwohl sich Bauernsachs selbst eher zur Katagorie Macho zählt, wagt er es, einen Satz zu sagen, den nur Berlin widerlegen kann: „Wenn Hannah Höch ein Mann wäre, würde man ihr Vermächtnis an die Stadt niemals meistbietend verscherbeln.“