piwik no script img

Archiv-Artikel

Lücke im Gedenken

In „Der brennende Dornbusch“ widmet sich das ZDF der oft vernachlässigten Geschichte der Juden in Europa

„Juden existieren in den Köpfen vieler Deutscher nur zwischen 1933 und 1945 – und nur als Opfer“, sagt Iris Pollatschek. Woher die Juden kamen, was sie im Laufe der Jahrhunderte geleistet haben, würde weder im Fernsehen noch in deutschen Geschichtsbüchern ausreichend erzählt, so die Fernsehjournalistin. Diese Lücke will sie mit ihrer zweiteiligen Dokumentation „Der brennende Dornbusch“ schließen.

Sie erzählt die 2.000-jährige Geschichte der Juden vor dem Holocaust. Der erste Teil (heute, 22.45 Uhr) widmet sich Antike und Mittelalter, der zweite (So., 22.30 Uhr) gibt Einblick in das Judentum in Osteuropa, berichtet vom Leben des jüdischen Aufklärers Moses Mendelssohn und von der Entstehung des Zionismus unter Theodor Herzl.

Damit sich der Zuschauer im Wust der Jahrhunderte nicht verliert, führen von Schauspielern dargestellte historische Persönlichkeiten durch die insgesamt 90 Minuten. Der römische Geschichtsschreiber Flavius Josephus, einst selbst jüdischer Feldherr, beschreibt etwa den Überlebenskampf des Königreichs Judäa im jüdischen Krieg und die Zerstörung des Tempels in Jerusalem. Und der Gelehrte Rabbi Schlomo Ben Jitzhack erlebt noch einmal das Aufblühen der jüdischen Wissenschaften in den Akademien am Rhein und auch die Pogrome im Rahmen der Kreuzzüge.

Die Jahrhunderte, die zwischen den Lebensgeschichten liegen, werden in wenigen Sätzen zusammengefasst. Doch auch wenn die Zeitsprünge groß sind und die Protagonisten ein bisschen zu oft und zu pathetisch die Stirn runzeln, geben sie doch Orientierung und stehen sinnbildlich für Epochen.

Besonders die zwangsgetaufte Gracia Mendes, Erbin eines riesigen Handelsimperiums. Zu Zeiten der Inquisition irrte sie ein halbes Leben lang von einem Ort zum anderen, mal herbeigelockt wegen ihres Vermögens, dann wieder verfolgt wegen ihres Glaubens. Denn auch wenn Pollatschek keine Opfergeschichte erzählen wollte, ist es doch vor allem dieser Eindruck, den der historische Gesamtblick beim Zuschauer hinterlässt: dass die Schoa der grausame Höhepunkt eine 2.000-jährige Geschichte der Verfolgung war. ANNE SEITH