: Gott bleibt skeptisch
SCHIFFSKONGRESS Die „Reisende Sommerrepublik“ institutionalisiert sich bei freier Kost und Logis auf dem Harrier Sand, in Gröpelingen und auf der Sielwall-Fähre
Der Eintritt zum Schiffskongress der „Reisenden Sommer-Republik“ ist frei. Zum Harrier Sand gelangt man am Samstag am stilvollsten mit der „Oceana“, die um 8.30 Uhr bei St. Martini ablegt. Allerdings kommt man dann nicht rechtzeitig zur Diskussion um Bürgerkraftwerke, die bereits um 11 Uhr beginnt und angesichts der aktuellen Bremer Enttäuschungen durchaus Zunder haben könnte. Wer trotzdem auch am Sonntag per Schiff zum Pier 2 reisen möchte – der Kongress wird auf dem Inselchen vor der Waterfront fortgesetzt – kann um 11.45 Uhr ab Martinianleger die Hafenrundfahrt nutzen. Das gesamte Programm: www.sommer-republik.de. HB
Von Henning Bleyl
Für Utopisten ist Wetterfestigkeit eine unverzichtbare Tugend. Nicht, weil die Winde der „Zeitläufte“, wie man als Zeit-Redakteur schreiben würde, stets wechselhaft und widrig wären. Sondern weil die Wettervorhersage fürs Wochenende so mies ist. Samstag Regen, Sonntag sogar Gewitter: So werden aus den Trägern neuer Ideen, die sich zum „Ausflug in die Utopien“ auf den Harrier Sand begeben, unvermeidbar auch Träger wasserdichter Bekleidung. 2005, bei der Premiere der „Reisenden Sommerrepublik“, die sich als „offene Diskussions- und Aktionsplattform“ versteht, war‘s genauso.
Die dieses Jahr als „Schiffskongress“ firmierende Veranstaltung ist deutlich kleiner als beim Auftakt 2005, als die Organisatoren noch die Bremer Kulturhauptstadt-Bewerbung im Rücken hatten. Weniger Referenten und Utopisten – die Veranstalter rechnen mit etwa einem Viertel der 200 Teilnehmer vom ersten Mal – muss freilich nicht heißen, dass das Programm rund um die Themen Bildung, Arbeit, Ökologie und Regionalisierung nicht spannend sein könnte. Besonders die Diskussion über Bürgerkraftwerke als stromerzeugende Ökohightechsolidaritätsbauten, bei der sich am Samstag ab 11 Uhr die Böll-Stiftung engagiert, könnte angesichts des vorläufigen Scheiterns entsprechender Bemühungen beim Weserkraftwerk Brisanz haben.
Anschließend – quasi in eigener Sache – wird über die Potentiale regionaler Kulturfestivals als „Entwicklungsressource“ diskutiert, bevor am Samstagabend der Bericht über eine für Oktober geplante Recherchereise auf dem Programm steht: Am Missouri soll nach Spuren der deutschen Auswanderer von 1834 gesucht werden, die dort eine basisdemokratische „deutsche Musterrepublik“ errichten wollten. Der Umstand, dass die 250 historischen Utopisten vor ihrer Abreise einige Wochen auf dem Harrier Sand kampierten, ist der Grund für die Ortswahl der aktuellen Zukunftsgestalter. Immerhin steht auf der Insel noch ein Teil des Kuhstalls, in dem die überwiegend aus Hessen stammende Gruppe seinerzeit erste WG-Erfahrungen sammelte während sie auf ihr immer wieder verspätetes Schiff wartete.
Heute führen zum Harrier Sand auch verlässlichere Wege, zum Beispiel der durchgehende Regionalexpress von Bremen nach Brake, dann muss man nur noch mit der Fähre auf „Deutschlands größte Flussinsel“ übersetzen, wie der örtliche Ferienhausbesitzer-Verein das Eiland nennt. Als empfehlenswert gilt auch die Tour bis Farge mit der Bahn, anschließend mit dem Fahrrad weiter – am besten mit Zelt, da ein Teil des Harrier Sand-Campingplatzes für die Sommerrepublikaner reserviert ist. Das Kern-Team der Utopisten, etwa 30 Leute, ist freilich mit der „Franzius“ unterwegs, dem historischen Plattbodensegler. Die „Reisende Republik“ müsse noch mobiler werden, erläutert Kongress-Organisator Oliver Behnecke. Ziel sei die Entwicklung eines Festival-Formats für die gesamte Metropolregion Bremen/Oldenburg unter intensiver Nutzung der diversen Wasserwege.
Dazu zählen, bereits jetzt, auch ultrakurze Abschnitte: Der „Schiffskongress“ endet Sonntagabend auf der Sielwallfähre, wo der Film „Reisewege/Lebenswege“ läuft – er dauert etwa sieben Übersetzungen. Zuvor, Sonntagnachmittag lohnt ein Besuch der weitergereisten Republik an der Waterfront. Die Arbeitnehmerkammer richtet dort ein „Butterkuchenbankett für alle“ aus und diskutiert mit Jakob Schrenk über dessen Buch „Generation befristet“.
Vor fünf Jahren war das „Shipyard Island“ bereits Schauplatz eines der die Sommerrepublik vorbereitenden „Signalfeuer“: Damals, noch im Angesicht des Space Park, bewiesen die Utopisten semi-hellseherische Fähigkeiten: Das Gebäude würde bestimmt dereinst ein Spinnenmuseum, diagnostizierten sie, angeregt von dem seinerzeit dort herrschenden Achtbeiner-Alarm. Nun ist immerhin ein Tütentragender Ameisenhaufen draus geworden.