Der König, der Blitz und der Tanz

HULA Monika Lilleike bietet vorm Berliner Dom Workshops für den traditionellen Hula-Tanz an, den die Missionare einst verboten haben

„Freut euch des Lebens!“, ruft die Hulalehrerin, aber die sieben sind viel zu beschäftigt

Monika Lilleike hat eine Mission. Das hüftlange blonde Haar streng zurückgebunden, in violettem Wollrock und grüner Bluse schreitet sie über den Rasen vor dem Berliner Dom und rammt ein Schild in den Rasen: „Hula ’Olapa“ steht darauf, traditioneller Hula. Fertig ist die hawaiianische Enklave mitten in Berlin. Im Rahmen des Museumsinsel-Festivals, das diesen Sommer die Ausstellung „Anders zu Welt kommen“ im Alten Museum begleitet, bietet Lilleike hier jeden Dienstag einen offenen Workshop an.

„Sind Sie die Hula-Frau?“ Eine adrette Sechzigjährige mit Riesensonnenbrille läuft mit ausgestreckter Hand auf Lilleike zu. Beate aus Zehlendorf ist zum ersten Mal dabei und wundert sich, wo wohl die Baströckchen sind. Lilleike lächelt und drückt ihr einen sonnengelben Wickelrock in die Hand.

Zu Lilleikes monotonem, kraftvollem Sprechgesang schwingen bald darauf sechs Tänzerinnen und ein Tänzer ihre leuchtenden Röcke über den Rasen. „Freut euch des Lebens!“ ruft sie aus vollem Hals, aber die sieben sind viel zu beschäftigt, um sich zu freuen: Erst müssen sie all die „Kaholo“- und „Ka’o“-Schritte koordinieren, dem Takt der Kürbistrommel folgen und dabei eine Geschichte in die Luft malen, die sie selbst noch nicht verstehen: Ihre zur „Lotusblüte“ geformten Hände huldigen König Kalakaua, der Hawaii im 19. Jahrhundert zu neuem Selbstbewusstsein führte, nachdem christliche Missionare die indigene Kultur unterdrückt hatten.

Elektrizität tanzen

Die „Blitz“-Bewegung erinnert an des Königs größten Coup: In den 1880er-Jahren brachte er die Elektrizität nach Hawaii – noch bevor Licht im Weißen Haus brannte. Inzwischen ist das elektronische Zeitalter ein paar Schritte weiter: Drei dösende Touristen halten das Kreisen der Hüften und die kampflustigen Grimassen mit ihrer Handykamera fest.

Wenn das Lilleikes Lehrer sehen könnte! Was würde Kumu Hula John Keola Lake von diesem Anfängerauftritt vor dem Berliner Dom denken? Was vom Kopfschmuck, den die Berliner aus Weide statt aus „Pala palai“-Farnen flechten? Lilleike ringt um jedes Zugeständnis an die deutsche Spiel-und-Spaß-Gesellschaft. Fragen kann sie Lake nicht mehr; er starb letztes Jahr.

Die Ququi-Nüsse an ihrer Halskette klackern aufgeregt, wenn die 42-Jährige erzählt, wie sie vom Kind im namibischen Bürgerkrieg zur Hula-Schülerin in Honolulu wurde. Davon, wie ihr Vater gegen die südafrikanische Okkupation rebellierte, bis die Familie nach Deutschland fliehen musste. Davon, welcher „Riesenzufall“ sie ein Jahrzehnt später nach Hawaii führte, wo sie die gleichen kolonialen Strukturen zu erkennen glaubte wie in der verlassenen afrikanischen Heimat: „Ich war gekommen, um ‚Pacific Performance Studies‘ zu studieren, aber der Titel entpuppte sich als Floskel – im 50. US-Bundesstaat schien die pazifische Kultur völlig verdrängt.“

Geheimwissen

In Hawaii holt Lilleike den Kampf nach, den ihr Vater in Namibia verloren hat: Sie widersetzt sich dem Curriculum, lernt fernab vom Campus Hula ’Olapa als Teil der kulturellen und politischen Unabhängigkeitsbewegung kennen. Aus den zwei geplanten „Feldforschungssemestern“ für die Magisterarbeit werden fünf Jahre. Lilleike baut Instrumente, sammelt Pflanzen und lernt hawaiianische Mythen auswendig: „Das ist Geheimwissen; durch bloße Beobachtung hätte ich nichts erfahren!“

Gedulden müssen sich auch ihre Schüler in der „Halau Hula ma Kahikina“, der „Hula-Schule des Ostens und der aufgehenden Sonne“, die sie 2007 mit Genehmigung ihres Lehrers gegründet hat: Alfons ist von Anfang an dabei und kann seinen Freunden trotzdem kaum vermitteln, worum es sich handelt. „Es ist ein heiliger Tanz“, raunt Alfons, der sein T-Shirt vom „Kanuclub Zugvögel“ in den Wickelrock gesteckt hat. „Wir dürfen ihn nicht einfach zu Hause zeigen.“

Nach hawaiianischem Glauben bringen Fehler beim Tanzen Unglück; daher werden Anfänger von der Göttin Laka beschützt und abgeschottet. Doch Lilleike sieht lieber die pragmatische Funktion hinter dem Mythos: „So geht man in Hawaii mit dem Urheberrecht um.

Das haben sie jetzt gründlich verletzt. „Aber die „heidnische“ Performance vor dem Berliner Dom war’s wert“, kichert Lilleike. Mission erfüllt.

CHRISTINA FELSCHEN

■ Jeden Dienstag von 18 bis 19 Uhr, bis 8. September, Treffpunkt 17.45 Uhr an der Granitschüssel vor dem Alten Museum www.museumsinselfestival.info