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Archiv-Artikel

Wohlstand für alle ist möglich

MARKTWIRTSCHAFT Peter Bofinger, einer der fünf deutschen „Wirtschaftsweisen“, erklärt, warum Ludwig Erhards alte Maximen richtig sind

Überraschend: Durch die Globalisierung ist es zu keinem Steuerschwund für den Nationalstaat gekommen

VON ROBERT MISIK

Es ist eine überraschende Einsicht, die die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise für uns parat hält: Demnach ist nationalstaatliche Wirtschaftspolitik in der Epoche der Globalisierung keineswegs von gestern. Mehr als ein Jahrzehnt hatte man ja das Mantra im Ohr: In der Globalära funktioniere Keynesianismus nicht mehr, die Regierungen hätten nicht einmal die Instrumente für eine makroökonomische Steuerung in der Hand.

Und außerdem stünden Volkswirtschaften in einem Wettbewerb zueinander, der sich vom Wettbewerb zwischen Schuhfabrikanten nicht unterscheide.

Gewolltes Schrumpfen

Deshalb müssten sie also die Steuern dumpen, die Staatsquote zurückfahren und Sozialleistungen beschneiden, damit die Lohnkosten für die Unternehmen fielen. Denn nur so könne man noch wettbewerbsfähig bleiben in der Konkurrenz mit China, Brasilien oder den polnischen Klempnern.

Jetzt sieht man plötzlich, wie wenig daran wahr war. Die Staaten legen Konjunkturprogramme auf, und es ist keineswegs so, dass „die Wirtschaft“ allein in „der Wirtschaft“ gemacht wird. Selbstverständlich ist es besser, wenn so viel wie möglich international koordiniert wird; einige Elemente, allen voran die Geldpolitik der Europäischen Union, sind auch nur transnational zu bewältigen. Aber die Regierungen haben Möglichkeiten – um es zurückhaltend zu sagen.

„Zu den überraschenden Befunden dieses Jahrzehnts zählt die Erkenntnis, dass es durch die Globalisierung zu keinem Steuerschwund des Nationalstaats gekommen ist“, schreibt der „Wirtschaftsweise“ Peter Bofinger in seinem neuen Buch „Ist der Markt noch zu retten?“.

In den meisten westlichen Volkswirtschaften sank also nicht einmal die Staatsquote, und auch das Verhältnis von Abgaben auf Arbeit zu den Abgaben auf Vermögen änderte sich nicht so krass, wie man das gemeinhin annehmen würde, wenn man Feuilletondebatten im Ohr hat. Der Staat schrumpfte da, wo das politisch gewollt war. Punktum.

Vor allem in Deutschland ist vieles in Schieflage geraten. Brutto- und Nettoverdienste der Arbeitnehmer sanken um 2,3 beziehungsweise um 2,2 Prozent seit 2000. In keinem OECD-Land wuchs die gesellschaftliche Ungleichheit so rapide wie in der Bundesrepublik. Während Dänemark, Schweden oder Frankreich noch immer eine Staatsquote von knapp 50 Prozent aufweisen, sank die Deutschlands auf 43,9 Prozent und liegt damit bereits um 2 Prozentpunkte unter der Großbritanniens.

All das machte Deutschland „konkurrenzfähiger“. Aber was bedeutet eine solche „Konkurrenzfähigkeit“ unter den Bedingungen komplexer, globaler Kreislaufökonomien? Dass sich jemand kurzfristige Vorteile auf Kosten anderer verschafft. Dieser Verlust an Wettbewerbsfähigkeit hat „in einigen Mitgliedsländern der Europäischen Union zu Defiziten in der Leistungsbilanz geführt“.

In Deutschland dagegen dümpelte die Binnenkonjunktur, und die Exporte brummten. Das heißt: Deutschland hat mehr produziert, als es nachzufragen in der Lage war. Wenn aber ein Land mehr spart, als es ausgibt, bedeutet das, dass es Länder geben muss, die sich chronisch verschulden. Global verallgemeinern ließe sich ein „solches Dagobert-Duck-Verhalten“ also nicht, schreibt Peter Bofinger.

Bofinger, seit seinem Einzug in den Rat der „Wirtschaftsweisen“ einer von Deutschlands Starökonomen, mahnt leidenschaftlich zur Umkehr. „Lohnzurückhaltung und der Abbau sozialer Sicherheitsnetze haben das von Ludwig Erhard geprägte Modell der sozialen Marktwirtschaft erheblich in Misskredit gebracht“, schreibt Bofinger. Verdruss an Staat und Demokratie seien die Folge.

Weniger Staat mag Unternehmen kurzfristig nützen, doch sehr schnell kann ein Zuviel an Markt auch die Marktwirtschaft zerstören. Das sei schließlich die zentrale Lehre der Kernschmelze an den Finanzmärkten.

Deutscher Dagobert Duck

Wenn mächtige Wirtschaftslobbys dem Staat immer mehr Freiheiten abtrotzten, sei das ein zweifelhafter Sieg. So kämpften die US-amerikanischen Investmentbanker „mit großem Erfolg“ gegen staatliche Regulierungen – „heute gibt es keine Investmentbanken mehr“.

Gegen die Krise, so Bofinger, helfe ein steuernder Staat, der sich wieder an die alte Maxime hält: Wohlstand für alle. Dieser Weg sei auch in Zeiten der Globalisierung möglich, wirtschaftlich nützlich, sozial gerecht und demokratisch unabdingbar.

Kurz: Wenn es uns allen gut geht, geht es auch der Wirtschaft gut.

■ Peter Bofinger: „Ist der Markt noch zu retten? Warum wir einen starken Staat brauchen“. Econ, Berlin 2009, 253 Seiten, 19,90 Euro