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Archiv-Artikel

„Beim Kapital zu wenig Druck gemacht“

Der Sprecher der Grünen Jugend, Stephan Schilling, kritisiert die Zögerlichkeit der Parteispitze in der aktuellen Debatte. Statt warmer Worte für die Unternehmer wünscht der Nachwuchs die Einführung einer europäischen Vermögensteuer

taz: Herr Schilling, heute beginnt in Erfurt der Bundeskongress der Grünen Jugend unter dem Motto „Eine friedliche Welt im 21. Jahrhundert“. Welche Erwartungen haben Sie an das Treffen?

Stephan Schilling: Ich hoffe, dass es uns gelingt, für eine neue Form der Friedens- und Sicherheitspolitik ein starkes Zeichen zu setzen. Wir wollen zeigen, dass man mit militärischer Intervention im 21. Jahrhundert Frieden und Sicherheit nicht herstellen kann. Wir setzen auf die Wahrung des Völkerrechts, auf internationale Gerechtigkeit und auf eine präventive Konfliktbewältigung. Ein zweiter Punkt wird die Auseinandersetzung mit der aktuellen Kapitalismusdebatte sein. Da wollen darauf aufmerksam machen, dass Frieden ohne eine Regulierung des Kapitalismus nicht möglich ist. Außerdem wollen wir zeigen, dass es auch eine laute grüne Stimme zu diesem Thema gibt.

Wie sieht diese Stimme aus? In einem Antrag, der auf dem Bundeskongress diskutiert werden wird, heißt es: Die Kapitalismusdebatte wird zu ideologisch geführt.

Zunächst einmal muss es eine ökologische Kapitalismuskritik geben. Außerdem muss mehr auf internationaler Ebene gehandelt werden. Die Globalisierung hat dazu geführt, dass der Kapitalismus die nationalstaatlichen Zügel abgestreift hat. Man muss ihm also neue anlegen. Dazu machen wir zwei Vorschläge. Zum einen die Gründung einer internationale Steuerbehörde – verbunden mit der Einführung der Tobin-Steuer und einer europäischen Vermögensteuer, um das Kapital wieder stärker in die Verantwortung zu nehmen. Außerdem sollten nationalstaatliche Handlungsspielräume weiter ausgeschöpft werden. Zum Beispiel könnte man bei uns höhere Einkommen noch stärker belasten als bisher, auch mit Lohnnebenkosten.

Zurzeit sieht es ja nicht so aus, als ließen sich solche Vorschläge mit der Bundespartei umsetzen. Wo sehen Sie hier die Defizite der Grünen?

Auch wir Grünen haben zum Teil in eine falsche Richtung argumentiert und zu wenig Druck gemacht. Die Grünen waren in dieser Kapitalismus-Debatte bislang zu zögerlich und haben teilweise falsche Akzente gesetzt. Bislang wurde die Debatte zu oft auf eine Wertedebatte reduziert, unserer Meinung nach muss es sich hier aber um eine Strukturdebatte handeln.

Weshalb tun sich einige Grüne so schwer mit der Kapitalismuskritik?

Der Tonfall von Müntefering war sicher der falsche. Da ist es für manche schwer, komplett mit aufzuspringen. Andere scheinen leider auch inhaltliche Probleme mit der Diskussion zu haben. Jürgen Trittin hat allerdings gezeigt, dass es auch Grüne gibt, die diese Debatte ernsthaft betreiben.

Die Grüne Jugend sieht sich als Kritiker des Regierungshandelns. Wie positionieren Sie sich zum Beispiel in der Visa-Debatte?

Eine offene Einwanderungs- und Visapolitik ist wichtig. Wenn man möchte, dass sich andere Staaten demokratisieren, dann muss man den Leuten erlauben zu reisen. Und das hat Joschka Fischer richtig erkannt. Inhaltlich ist der so genannte Fischer-Erlass also nicht zu kritisieren.

Dass die grüne Bundesspitze erst kürzlich dem umstrittenen Rüstungsprojekt Meads zugestimmt hat, hat Sie vermutlich weniger gefreut?

Da haben die Grünen dem künstlich aufgebauten Druck der SPD nachgegeben und ihre kritische Haltung aufgegeben. Das halten wir für falsch. Manchmal muss man in einer Koalition Kompromisse schließen, wenn aber immer der Klügere nachgibt, regiert die SPD irgendwann alleine.

INTERVIEW: PHILIPP DUDEK