„Ein Jahr lang betete ich für Erich Mielke“

COMEBACK Der Lack ist nicht ab: Bettina Wegner gibt in der Passionskirche ein Konzert. Die Liedermacherin über die Liebe, Gott, das blöde Gequatsche über Gutmenschen und das befleckte Hemdchen des Stasichefs

INTERVIEW BARBARA BOLLWAHN

taz: Frau Wegner, Sie haben sich 2007 – nach über 35 Jahren auf der Bühne – von Ihrem Publikum verabschiedet. Sie waren es leid, „wie eine alternde Hure“ um Auftritte und Gagen zu feilschen, haben Sie gesagt. Jetzt treten Sie für ein Konzert in der Passionskirche auf. Brauchen Sie die Bühne oder das Geld?

Bettina Wegner: Beides, aber mehr die Bühne.

Wie kam es zu dem Konzert?

Vor einem halben Jahr gab es in einem französischen Kulturzentrum hier in Frohnau, wo ich wohne, so ein schönes Konzert, dass ich Lust bekam, noch einmal ein richtiges Konzert zu machen. Ich brauchte nicht schachern und handeln, sondern habe nur den Veranstalter gefragt, ob er Interesse hat.

Freuen Sie sich auf den Auftritt?

Ja und nein. Ich habe Angst, kann kaum schlafen und frage mich, ob ich es nicht besser hätte sein lassen sollen.

Wovor haben Sie Angst?

Seit 2008 habe ich keine direkte Publikumserfahrung mehr. Außerdem hatte ich vor zwei Jahren an der rechten Hand eine Operation am Karpaltunnel. Seitdem ist die Hand verdorben. Alleine würde ich mich nicht auf die Bühne trauen. Das Konzert in der Passionskirche mache ich mit einem wunderbaren Gitarristen und einem wunderbaren Sängerkollegen, Jens Peter Kruse und Karsten Troyke, die mich auch auf meiner Abschiedstournee begleitet haben.

Was werden Sie singen?

Es sind die Lieder, die ich damals auch gesungen habe, nichts Neues. Während ich noch aktiv auf Tournee war, hatte ich schon das Gefühl, dass ich alles, was mir wichtig ist, gesagt habe.

Am bekanntesten ist „Sind so kleine Hände“ von 1979, wofür Sie eine Goldene Schallplatte bekamen. Singen Sie das Lied noch gerne?

Ja. Ich habe es aber mal jahrelang nicht gesungen. Als es eine Punkband übernahm, mochte ich es dann wieder. Und als es eine Naziband sang, das Spreegeschwader, mit dem Refrain „Das sind unsere Kinder, unser höchstes Gut, schützt unsere Kinder, schützt unser Blut“, habe ich vor Gericht geklagt und gewonnen.

Dieses Lied brachte Ihnen das „Heulsusen“-Image ein. Stört Sie das?

Heulsuse, Jammerlappen, Gutmensch, das sagt eigentlich mehr über die, die es benutzen. Früher hat mich das manchmal gekränkt. Es ist blöd und denunziativ. Wenn jemand sagt, ich sei zu schwer, damit kann ich umgehen. Bei mir ist es eben so, dass ich das Leichte lebe und das Schwere aufschreiben muss.

Sie sagten damals, dass Sie Angst vor der Stille nach der Bühne haben. War die Angst berechtigt?

Nach dem letzten Ton auf der Bühne hatte ich anderthalb Jahre meinen Papa bei mir, der 2009 gestorben ist. Ich war so ausgefüllt, dass ich nicht gemerkt habe, dass es still war. Jetzt merke ich diese Stille oft. Aber das geht anderen 64-jährigen Frauen ohne Mann sicher auch so, wenn die Kinder aus dem Haus sind und man keinen Beruf mehr hat.

Fühlen Sie sich einsam?

Nein, ich habe vier Katzen, und meine Kinder kommen oft. Aber wenn ich irgendwo hingehe und alle steigen dann zu zweit ins Auto, ist mir schon scheiße zumute. Manchmal ist die Stille sehr laut.

Ist Musik in solchen Momenten gut?

Ja. Zurzeit höre ich gerne Amy Winehouse.

In Ihren letzten Liedern ist viel die Rede von Liebe, Verlassenwerden und Traurigsein. Sie waren viele Jahre mit dem Schriftsteller Klaus Schlesinger verheiratet, mit dem Sie einen Sohn haben. 1988 hatten Sie eine Affäre mit Oskar Lafontaine. Wenn Sie ein Lied über Männer schreiben würden, welchen Titel würde das haben?

Inkompatibel.

Sie haben damals nichts zu der Affäre mit Oskar Lafontaine gesagt, der mittlerweile zur Linkspartei gewechselt und jetzt mit Sahra Wagenknecht liiert ist.

Für meine Geschichte mit ihm hat sich damals nur die Springer-Presse interessiert.

Wie haben Sie Oskar Lafontaine kennen gelernt?

Nach einer Veranstaltung gegen Kernkraftwerke waren alle Beteiligten in einem Restaurant, es war eine Stadt irgendwo in der Nähe der deutsch-französischen Grenze. Er saß neben mir und erzählte, dass Tiflis die Partnerstadt von Saarbrücken ist. Da hab ich mich als alte Osttrine gegeben und gesagt: „Na, da werden Sie ja Stalins Lieblingslied kennen.“ Und dann hat es mich umgehauen, dass er es kannte. Er hat „Suliko“ auf Georgisch gesungen, und ich auf Deutsch. Und dann war ich verliebt.

Wie lange hat die Beziehung gedauert?

Neun Monate, eine Schwangerschaft lang.

Woran ist sie gescheitert?

Tja, woran scheitern Beziehungen? Vergebene Liebesmüh!

Wenn das große Publikum weg ist und der Lack ab ist, was bleibt dann?

Nee, der Lack ist noch dran! Aber er wird nicht mehr bemerkt.

Okay, sagen wir so: Wenn das große Publikum weg ist und die Schönheit verblüht, was bleibt dann?

Es bleibt, was man gemacht hat. Dass alles welkt und verblüht, wie in einem Garten, das muss man annehmen. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit dem Altwerden.

Und dem Tod?

Klar. Ich habe neulich mein Testament gemacht und die Rechtenachfolge an meinen Liedern geklärt. Seit ich 50 bin, glaube ich an den alten Gott.

Wie haben Sie, eine Atheistin, zum Glauben gefunden?

Ich habe ein Buch von einem israelischen Physiker und Mathematiker gelesen und war plötzlich sicher, dass der jüdische Glauben für mich gut ist. Mir gefällt daran, dass man für alles, was man macht oder unterlässt, selbst verantwortlich ist. Es gibt auch keine Hölle. Gott ist für mich, was den Sinn ausmacht. Alles hat einen Sinn, auch die Scheiße, die man durchwatet. Dazu fällt mir eine lustige Geschichte ein.

Nur zu!

Als Erich Mielke (Chef des Ministeriums für Staatssicherheit, Anm. d. Red.) starb, da glaubte ich schon an Gott, sah ich die Bild-Schlagzeile „Mielke tot“. Auf die Frage an Vertreter der Weltreligionen, was mit Mielkes Seele passieren werde, sagte ein Rabbiner etwas Wunderschönes: Jeder Mensch kommt mit einem ganz weißen Hemdchen zur Welt, das im Laufe des Lebens Flecken bekommt, und wenn jemand für einen betet, hilft das, das Hemdchen zu reinigen. Mielkes Hemdchen war ganz bestimmt ein einziger Fleck.

Ausgerechnet Sie, der die Staatssicherheit das Leben schwer gemacht hat, haben für Erich Mielke gebetet?

Ja. Ich glaube, ich war der einzige Mensch, der ein Jahr lang für Mielke gebetet hat. Für den toten Mielke!

Was wünschen Sie sich für das Konzert am Samstag?

Dass ich zwischen den Leuten und mir ein Gefühl herstellen kann wie früher.

■ Samstag, 3. März, 20 Uhr, Passionskirche, Marheinekeplatz, 23 Euro