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Archiv-Artikel

Der umgekrempelte Teddybär

DESIGN Recycelte Produkte müssen nicht hässlich sein. Für die besten Wiederverwertungen gibt es sogar einen Preis

Die Schuhe von Valentin Schmitt aus Weimar bestehen aus Feuerwehrschlauch, Sicherheitsgurt und Granulatmatte

VON STEFFEN GRIMBERG

Zum Recycling-Design-Preis geht’s vorbei an garantiert First-Hand-Echtholzfurnierwänden, und dann sind sie plötzlich da: lauter Dinge, die zwar schon ein erstes, arbeitsreiches Leben hinter sich haben – aber jetzt, in ihrem zweiten, noch viel schöner sind.

Wobei das süße Bärchen eher amüsant anzusehen ist, genau wie seine linksgestrickte Verwandtschaft in der Ausstellung im ostwestfälischen Herford. Für ihr Designprojekt, gebrauchte Stofftiere einfach auf links zu drehen und ihnen so die innere Würde zurückzugeben, erhielten Lea Gerber und Samuel Coendet von der Zürcher Hochschule der Künste denn auch den ersten Preis. Vergesst den jetzt nach innen gedrehten Plüsch und Steiff-Knopf im Ohr: Trotz einer gewissen Kantigkeit funktioniert das Kindchenschema bei diesen Recycling-Viechern auch auf links munter weiter – und gibt dem Ganzen noch eine Aura von heiterer Unvollkommenheit.

Ganz anders dagegen die Öko-Sonnenbrillen von Marius Temming ein paar Schritte weiter. Sie würden jedem Optiker-Schaufenster zur Ehre gereichen und sehen gar nicht nach Altstoff aus. „Dass muss ja auch nicht“, sagt Hans Engels vom Herforder Arbeitskreis Recycling, der hinter der Ausstellung steckt: „Man soll nicht unbedingt auf den ersten Blick erkennen, dass das schon mal was anderes war.“ War es aber auch hier: Die so perfekt nach Echtholz aussehenden Brillengestelle sind aus Furnierresten und Zeitungspapier, das mit Harz verstärkt wurde (nein, es ist noch nicht im taz-Shop erhältlich).

Engels ist mächtig stolz auf den nun schon fünften Recycling-Design-Preis, auch wenn er das als Ostwestfale nicht so zeigt. Stolz darf er aber auch sein – dass aus einer Arbeitsloseninitiative heute der Arbeitskreis Recycling entstanden ist, der neben der Recyclingbörse in Herford noch Läden in Bielefeld und Spenge betreibt und ganz nebenbei noch den Preis vergibt, ist eine Leistung. 50 Arbeitsplätze hat die gemeinnützige GmbH bis heute geschaffen, dazu kommen noch einmal 40 von der Bundesanstalt für Arbeit geförderte Jobs.

An die Leute rankommen

Wie aber passt der Altstoffhandel zur hippen Designwelt, die jetzt auch noch in einem der architektonisch atemberaubendsten Kunstmuseen – im Herforder Marta – zu sehen ist? „Wir leben auch von Spenden“, sagt Udo Holtkamp vom Vorstand des Arbeitskreises Recycling, „und da war uns immer klar: Wir müssen mehr tun, um an die wohlhabenderen Leute ranzukommen.“ Das gehe eben besser, wenn man „gut angesehen ist“ – und was wäre da besser als ein Kunstpreis?

Zumal ein Kunstpreis, der jedes Jahr größer wird: 600 Einreichungen gab es für 2012 – „so was übersteigt eigentlich unsere Möglichkeiten, auch da mussten wir mit der Zeit gehen“, sagt Holtkamp: Die DesignerInnen präsentieren ihre Werke mit ausführlichen Beschreibungen im Internet, und die Jury macht sich zunächst mal ein virtuelles Bild. „Nur bei besonders interessanten oder strittigen Fällen muss man sich dann natürlich noch konkreter besprechen“, so Holtkamp. In der Jury sitzen MuseumsdirektorInnen und KuratorInnen, ProfessorInnen und DesignerInnen aus Deutschland, Belgien, Frankreich und den Niederlanden – darunter Marta-Gründer und Documenta-IX-Leiter Jan Hoet.

Während man so durch die Ausstellung schleicht, locken Bänke zur Rast wie die aus alten Skiern und übriggebliebenen Metallgestelle zusammengefügte Sitzgelegenheit der Kölner Designerin Katarzyna Pawlik. Ihre Idee: eine Interieurserie, die Mobiliar auf das Wesentliche reduziert. „Grundbedürfnisse wie Schlafen, Sitzen, Ablegen und Verstauen stehen im Mittelpunkt der Entwürfe. Nutzlos gewordene Alltagsgegenstände, die der moderne Stadtmensch mangels Bedarf und Interesse auf die Straße stellt, werden als Sekundärrohstoff genutzt“, erklärt Pawlik.

Ihre Bank hält auch durchaus etwas aus – wie auch die aus einer alten Autobahn-Leitplanke und Euro-Palettten gefertigte, etwas weniger filigrane Konkurrenzbank DIN 1317 von Felix Kaiser und Dirk Wember aus Münster. Nur draufsetzen darf man sich auf beide nicht wirklich – da ist zuverlässig die Institution Museum vor.

Nicht am Bären packen

Selbst der Versuch, ganz vorsichtig wenigstens mal das linkische Bärchen zu streicheln, geht voll in die Hose. „Bitte die Kunstwerke nicht anfassen!“ – das gilt auch bei Recycling-Kunst.

Dabei würde man gerne mal in die Schuhe von Valentin Schmitt aus Weimar schlüpfen und ausprobieren, ob diese Kombination aus „Feuerwehrschlauch, Sicherheitsgurt, Granulatmatte“ wirklich so atmungsaktiv und fußbettfreundlich ist, wie sie aussieht.

Mit alten Sicherheitsgurten arbeitet auch „Kurt, der Gurt“ von Patric Günther, Andrè Osthaar und Juri Welsch von der Detmolder Architekturhochschule gleich um die Ecke. Zwar macht das in einer Art Erste-Hilfe-Koffer verstaute Gurtwunder, das Wanderers Rucksack in jeder Lebenslage zum bequemen Anlehnmöbel machen soll, nicht wirklich Sinn. Aber am diskrete Hinweis „Alle Komponenten stammen aus Unfallfahrzeugen“ kommt man nicht vorbei.

Hübsch ist auch Angelika Heß’ „Seilschaft“ aus alten Spielplatzkletterseilen: Sie verwebt und schlingt diese um Plastikrohrreste und erhält so höchst flexible Sitz- und Aufbewahrungseinheiten. Einiges von den ausgestellten Produkten gibt es auch außerhalb des Kunstraums. Nur einen Fehler, sagt Jürgen Engel, dürfe man nicht machen: „Das hier ist Design – und auch wenn es hier um Recyclingmaterial geht, heißt das nicht, dass es das besonders billig oder gar umsonst gibt.“ Auch beim Publikum habe sich längt rumgesprochen, „dass es hier nicht um Bastelarbeiten geht – zur Eröffnung waren 500 Leute da“.

Und die konnten auch bei den Exponaten des parallel laufenden Schüler-Recycling-Design-Preises sehen, dass es hier nicht um Laubsägearbeiten oder recycelte SchülerInnen geht. Dafür haben – höchst schülertauglich-umweltfreundlich – Fahrradteile von Felgen über Ritzel bis zu Ketten Konjunktur, und zwar als Lampen. Nur die Glühbirnen sind – allem Recycling zum Trotz – natürlich frisch.

■ Die Ausstellung ist noch bis zum 1. April im Marta Herford zu sehen und geht dann auf Reisen nach Dessau, Berlin, Düsseldorf, Wien und Hamburg. Im Internet: recyclingdesignpreis.org