Aktivismus ohne Zuversicht

HOFFNUNGSLOS Viele Konflikte ziehen sich ewig hin – doch es gibt Menschen, die sich auch dann engagieren, wenn keine Lösung in Sicht ist

„Was soll ich denn sonst machen? Aufgeben können wir doch gar nicht“

RAJI SOURANI, AKTIVIST IN GAZA

VON KARIN SCHÄDLER

Die Welt hat ein klares Bild von AktivistInnen: Sie halten mitreißende Reden, verkörpern Mut und tragen den Glauben an das Gute weiter. Ob Barack Obama im Präsidentschaftswahlkampf, junge RevolutionärInnen in arabischen Ländern oder die Occupy-AktivistInnen: Sie alle wollen etwas und sie sind der festen Überzeugung, dass sie es bekommen können. Sie haben Hoffnung auf Veränderung. Auch die Zeitungen berichten am liebsten über solche Zuversicht versprühenden AktivistInnen; ihre Geschichten erzählen sich einfach besser.

Doch die Wahrheit ist: Nur ein kleiner Teil der AktivistInnen auf dieser Welt bringt einen solchen Elan über längere Zeit auf. In den meisten Konflikten ist längst der Alltag eingekehrt – und Besserung nicht in Sicht. Doch was motiviert diese Menschen? Woher nehmen sie die Kraft, weiterzumachen, obwohl sich im schlimmsten Fall seit Jahrzehnten fast gar nichts verändert hat?

Es gibt drei Gruppen von AktivistInnen, die immer weitermachen, sagt der Bewegungsforscher Dieter Rucht: erstens Gruppen mit Autonomiebestrebungen wie Kurden oder Tibeter, zweitens hochgradig moralisch argumentierende Gruppen wie Abtreibungsgegner oder Tierschützer und drittens Gruppen, deren Rechte brachial und notorisch verletzt werden, zum Beispiel die Oppositionellen in Staaten wie dem Iran, Syrien oder Birma.

Mit hängenden Schultern

Einer dieser hoffnungslosen Aktivisten ist Raji Sourani, palästinensischer Menschenrechtsaktivist in Gaza und Leiter der Nichtregierungsorganisation „Palestinian Centre for Human Rights“. Auf Einladung der Böll-Stiftung ist er nach Berlin gekommen, und während er spricht, möchte sein Kopf immer wieder nach unten sinken, wollen seine Augen in die Ferne schauen, seine Schultern herunterhängen, sein Rücken das Gewicht, das auf ihm lastet, nicht tragen und möchte sich seine Stirn in Falten legen – doch dann nimmt er doch wieder Haltung an und beginnt zu erzählen. Sein Blick bleibt dabei müde, seine Stimme klingt gelangweilt und leicht verärgert zugleich.

Es bleibt bei der Lethargie, auch wenn er über diejenigen spricht, die Menschenrechte in Gaza verletzen: die israelische Regierung und Armee, die palästinensischen Bewegungen Fatah und Hamas, aber auch Privatleute, die zum Beispiel für häusliche Gewalt verantwortlich sind. Sourani erhebt Vorwürfe gegen sie alle, doch Kampfeslust vermag er offenbar nicht mehr zu verspüren. Stattdessen schildert er völlig nüchtern, was er und andere MenschenrechtlerInnen in den vergangenen Jahrzehnten unternommen haben, um ihre Ziele zu erreichen. Und wie all das nicht zu einer Verbesserung der Lage geführt hat. Es scheint beinahe, als würde Sourani sich dafür rechtfertigen, dass all seine Bemühungen erfolglos geblieben sind. Wenn er eines nicht hat, dann ist das ein Funken Hoffnung.

Sinnkrise der Helfer

Warum macht er trotzdem weiter? „Was soll ich denn sonst machen? Aufgeben können wir doch gar nicht.“ Die Antwort ist typisch und sie ist nachvollziehbar. Es geht einfach nicht. Der Drang, für eine gute Sache wie die Menschenrechte zu kämpfen, ist ganz offensichtlich nicht in erster Linie eine pragmatische Entscheidung, sondern schlicht und ergreifend alternativlos.

Auch bei den meisten Entwicklungshelfern und Berufsaktivisten dieser Welt stellt sich über kurz oder lang eine Sinnkrise ein. Im Gegensatz zu den Betroffenen könnten sie zwar aussteigen. Dass die meisten von ihnen aber weitermachen, zeigt, dass die Wurzel für das Engagement von Menschen eher das Gefühl der Ungerechtigkeit ist als der Eindruck, diese Ungerechtigkeit beheben zu können.

Gleichzeitig sind Aktivisten aus westlichen Ländern, die in anderen Ländern etwas verbessern möchten, ein bedeutender Motor gerade für erfolglose Bewegungen. Auch ihre konstante – mindestens moralische – Unterstützung fördert, dass solche Bewegungen sich über längere Zeit am Leben erhalten. „Internationale Unterstützer schaffen einen Resonanzboden“, sagt Bewegungsforscher Rucht. Aktivisten vor Ort fühlen sich ermutigt, wenn sie wissen, dass es irgendwo auf dieser Welt jemanden gibt, der sich für ihre Sache interessiert.

Wenn die Aussicht auf geringen Erfolg nicht ausreicht, bleibt noch, den eigenen aussichtslosen Kampf moralisch zu überhöhen. Ihn gerade deshalb als richtig und wichtig zu begreifen, weil so wenige mitmachen. Sich als ein kleiner Kreis von Auserwählten zu fühlen, der als einziger die Wahrheit über die Welt verstanden hat. In geringerem Maße tun das wohl alle erfolgreichen AktivistInnen. Denn von Ungerechtigkeit betroffen zu sein, führt alleine noch nicht zu Aktivismus. Der kann erst entstehen, wenn die tiefe Überzeugung für bestimmte Werte dazukommt – ob es nun der Glaube an einen gerechten Gott ist, der Glaube an Freiheit oder der an die Menschenrechte.