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Archiv-Artikel

„Bayern ist einen Schritt weiter“

Direkte Demokratie tut sich schwer in NRW. Landesweit wurde erst zweimal vom Volksbegehren Gebrauch gemacht, auch in den Kommunen bleibt der Organisationsaufwand weiter groß, sagt der Bonner Politologe Andreas Kost

INTERVIEW: SEBASTIAN SEDLMAYR

taz: Herr Kost, Sie haben soeben ein Buch veröffentlicht, in dem Sie die direkte Demokratie in den deutschen Bundesländern vergleichen. Wie schneidet Nordrhein-Westfalen ab?

Andreas Kost: Nordrhein-Westfalen belegt einen durchschnittlichen Mittelplatz. Die Regelungen für direkte Demokratie sind nicht zu ausgeprägt, aber auch nicht zu restriktiv. Im Vergleich zu Bayern sind die Gestaltungsmöglichkeiten der Bürger sicherlich eingeschränkter.

Wo hinkt NRW noch hinterher?

Auf der Landesebene ist die direkte Demokratie noch nicht so weit fortgeschritten wie auf kommunaler Ebene. Volksbegehren und vor allem Volksentscheid, also die Instrumente auf Landesebene, sind in NRW seit der Gründung des Landes erst zwei mal ernsthaft ausprobiert worden – einmal gegen die Einführung der Kooperativen Schule und einmal gegen die kommunale Gebietsreform im Ruhrgebiet.

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass es erst zwei Volksbegehren in NRW gab, obwohl die Hürden dafür im Jahr 2002 deutlich gesenkt wurden?

Die Hürden sind zwar gesenkt worden, aber sie sind noch immer ziemlich hoch. Initiatoren brauchen in Nordrhein-Westfalen mehr als eine Million Unterschriften von Unterstützern, die sie in acht Wochen sammeln müssen, damit ein Volksbegehren überhaupt stattfinden kann. Das erfordert eine beachtliche Organisationsfähigkeit.

Bürgerbegehren in den Kommunen scheinen leichter einsetzbar als landesweite Volksbegehren. Trotzdem gab es nach Ihrer Bilanz in knapp zehn Jahren nur 318 Bürgerbegehren und nur 96 Bürgerentscheide in ganz NRW. Wie kommt das?

Der Organisationsaufwand ist auch bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden recht hoch. Für kleinere Bürgerinitiativen ist das Instrument oft nicht attraktiv. Es wird deshalb nur dosiert angewendet. Aber man darf nicht nur die Zahlen sehen. Die direktdemokratischen Elemente bereichern die politische Kultur selbst dann, wenn sie gar nicht zur Anwendung kommen. Oft genügt schon die Drohung mit einem Bürgerbegehren, um den Stadtrat zum Umdenken zu zwingen. Häufig fließen die Forderungen von gescheiterten Bürgerbegehren über Umwege in den politischen Prozess ein und beeinflussen dann die Entscheidungen.

Trotzdem werden rund ein Drittel der Bürgerbegehren gar nicht erst zugelassen. Führt diese „dosierte“ Anwendung nicht dazu, dass die Bürger sich frustriert von diesen Instrumenten abwenden?

Das ist nicht auszuschließen. Kostendeckungsvorschläge und, gravierender, die thematische Beschränkung für Bürgerbegehren auf wenige Politikbereiche wirken sicherlich frustrierend. Da ist Bayern einen Schritt weiter. Dort sind auch haushaltsrechtliche Themen zum Teil als Gegenstand von Bürgerbegehren zugelassen.

Wenn haushaltsrechtliche Fragen ausgeschlossen sind: Was bleibt da eigentlich noch übrig?

Es bleibt schon noch eine Palette von Themen übrig. Beispiele sind Straßenführungen, öffentliche Bauten wie zum Beispiel Schwimmbäder, die Standortfrage für Schulen oder auch Parkscheinautomaten.

Im Landtagswahlkampf spielt die direkte Demokratie keine Rolle. Wie schätzen Sie die Entwicklung in der kommenden Legislaturperiode ein?

Nach der Landtagswahl könnten durchaus Korrekturen an der relativ jungen Volksinitiative kommen. In einer Reihe anderer Bundesländer ist die Initiative bereits eine Vorstufe zu Volksbegehren und Volksentscheid. Das könnte auch in NRW auf die Agenda rücken, wo die Volksinitiative bislang nur dazu führt, dass sich im Erfolgsfall der Landtag mit dem jeweiligen Thema befassen muss. Bei Bürgerbegehren wird sicher über eine thematische Erweiterung zu diskutieren sein. Nur so kann einer Frustration bei den Bürgern entgegengewirkt werden.