: Nomadisieren für die Kunst
REISEPROJEKT Das Festival „Wir sind woanders“ führt Künstler aus der Hamburger Off-Szene ins In- und Ausland, um über Themen wie Kolonialismus, Interventionen und Gentrifizierung zu diskutieren
Der Titel klingt nach Flucht – sei es einer freiwilligen oder aber jener erzwungenen, wie sie immer wieder die Gentrifizierung von zuvor preisgünstigen Stadtteilen notwendig macht. „Wir sind woanders“ heißt das ins dritte Jahr gehende Festival, das einmal in der Hamburger Off-Kunstszene erfunden worden ist, um den Kürzungsplänen der Kulturbehörde Paroli zu bieten. „Wir wollten auf kreative Weise klarmachen, dass die Off-Szene ein wichtiger Think Tank für die Stadt ist – und dass sie entsprechend gefördert gehört“, sagt eine Mitgründerin.
Zu Hilfe kam den protestierenden Künstlern damals nicht nur das schlechte Gewissen der Kultursenatorin, sondern auch die Tatsache, dass ein anonymer Mäzen eine große Summe spendete. Ein Symposion sowie, im zweiten Jahr, einen Städteaustausch organisierten daraufhin insgesamt 25 Initiativen. In diesem Jahr hat man den Titel wörtlich genommen – und veranstaltet Reisen ins In- und Ausland zu befreundeten Initiativen, um Ideen und kulturelle Praktiken auszutauschen.
Nach Ghana ist etwa die mit Kolonialismus befasste Initiative „afrika-hamburg.de“ gereist. „Kunst im öffentlichen Raum (KiöR)“ wird demnächst in Krakauer Brachen und Siedlungen intervenieren. Und das Künstlerhaus „Frise“ will die Geschichte des eigenen, knapp der Gentrifizierung entrissenen Gebäudes mit der eines Viertels von Manhattan vergleichen, wo gerade Ähnliches passiert. Einige Künstler sind bereits unterwegs, die anderen werden in den nächsten Wochen fahren. Später folgen Gegenbesuche der ausländischen Künstler.
Nachhaltigkeit ist dabei ein selbstverständlicher Teil des Konzepts: Erfahrungsberichte sowie Listen der neu gewonnenen Kontakte werden im Internet publiziert, um künftig reisenden Künstlern Ansprechpartner für Projekte zu vermitteln. Zugleich verstehen sich die „Wir sind woanders“-Initiativen ausdrücklich als Kulturbotschafter Hamburgs. Ob die hiesige Politik das auch so sieht und auf Dauer finanziell würdigt, ist unklar. Sei es krisenbedingt oder nicht: Um künftig mit einer Stimme zu sprechen, haben die Organisatoren von „Wir sind woanders“ Ende vergangenen Jahres den „Dachverband aktuelle Kunst“ gegründet. PETRA SCHELLEN