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Archiv-Artikel

Leben trotz der Verbote

FILM Beim Festival „Kunst und Revolte“ in der Akademie der Künste sind Filme von acht arabischen Filmemacherinnen zu sehen. In ihnen wird unter anderem die Frage nach der Rolle der Frau gestellt

Hat die Rolle der Frau sich mit dem Arabischen Frühling geändert?

VON JOSTA VAN BOCKXMEER

Ein junger Mann kommt mit einem Müllbeutel in der Hand aus dem Gartentor. Auf dem Weg zum Müllcontainer verfolgt ihn der Lauf eines übergroßen Panzerwagens auf einem Meter Abstand. Auf dem Rückweg klingelt sein Handy. Während er sich für eine Party am Abend verabredet, folgt der Panzer jedem seiner Schritte. Das Publikum hält den Atem an, doch der Mann in Elia Suleimans Film „The Time that Remains“ (Die Zeit, die noch übrig bleibt) scheint nichts zu bemerken.

„Alles, was wir machen, is technisch gesehen illegal, vor allem Politik“, sagt eine Frau in „Forbidden“ von Amal Ramsis. Die ägyptische Filmemacherin zeigt in ihrem Dokumentarfilm die Unmöglichkeit auf, in Ägypten zu leben, ohne andauernd Verbotenes zu tun. Sogar den Film musste sie illegal mit einer kleinen Handkamera drehen, da spontanes Filmen auf der Straße verboten ist. Ein anderes Verbot ist „unanständiges Verhalten“, zu dem Küssen in der Öffentlichkeit oder, abhängig vom Polizisten, auch Händchenhalten gehört.

Es sind diese Bilder der ständigen Überwachung und von dem Durchhalten der Menschen, die beim Festival „Kunst und Revolte“ gezeigt werden. Im Rahmen des Festivals sind in der Akademie der Künste und dem Instituto Cervantes Dokumentarfilme von acht Filmemacherinnen aus der arabischen Welt zu sehen. Auch wurde ein Film des palästinensischen Regisseurs Elia Suleiman gezeigt, es gab Workshops und Diskussionsrunden. Es geht es um die Frage, wie Kunst auf gesellschaftliche Entwicklungen Bezug nehmen kann. Oder darum, was die Rolle der Frauen in Krisensituationen ist.

Wracks für Tunesien

Das prägnanteste Beispiel gesellschaftlicher Kunst sind die Werke der tunesischen Künstlerin Faten Rouissi, die am Donnerstag eine Lecture-Performance gab. Für das Projekt „art dans la rue – art dans le quartier“ (Kunst in der Straße – Kunst im Viertel) rief sie über Facebook Studierende und KünstlerInnen dazu auf, die ausgebrannten Autos in den Straßen von Tunis bunt anzumalen. Viele folgten ihrem Aufruf, tauchten die Wracks in Farben und beschrieben sie mit Sprüchen. So wurden sie zu Symbolen des freien Tunesiens.

Die besondere Rolle der Frauen in Krisensituationen wird in Dahna Abourahmes Film „Kingdom of Women“ deutlich. Das palästinensische Flüchtlingslager Ein El Hilweh wurde nach der Zerstörung durch die israelische Armee 1982 fast komplett von Frauen wieder aufgebaut, während ihre Männer verhaftet waren. Deshalb wird es das „Königreich der Frauen“ genannt. Eine von ihnen sagt: „Manchmal müssen Frauen eine größere Rolle einnehmen. Es gibt Zeiten, in denen die Männer sich nicht frei bewegen können.“ Im Publikumsgespräch kommt die Frage auf, warum diese Rolle nach der Krise oft wieder unsichtbar wird.

Die vielen Animationen von Lena Merhej sorgen dafür, dass der Film über das Dokumentarische hinausgeht. Sie stellen die Geschichte des Flüchtlingslagers dar, von der kaum Archivmaterial vorhanden ist. Der Wechsel zwischen Film und Animation fällt mit der Kluft zwischen den Generationen zusammen. Wer die Zerstörung des Flüchtlingslagers nicht selbst erlebt hat, hat keinen verlässlichen Zugang mehr dazu.

Verfrühte Euphorie?

Der letzte Tag der Produktion von „Forbidden“ war der erste der Revolution in Ägypten. Amal Ramsis hat ihren Film überarbeitet und Bilder der Proteste hinzugefügt. Würde sie ihn jetzt nochmal machen, würde er nicht so euphorisch enden. Denn die Muslimbrüderschaft hat die Mehrheit im Parlament und das System ist im Grunde gleich geblieben. Mit dem Unterschied, dass viele Menschen zu AktivistInnen geworden sind und die Teilnahme an den Demonstrationen jetzt etwas ist, auf das man stolz sein kann.

Hat die Rolle der Frauen sich mit dem Arabischen Frühling geändert? Ramsis, die die Filmreihe mitorganisierte, möchte vor allem die Kontinuität betonen. Für „Forbidden“ interviewte sie überwiegend Journalistinnen und Aktivistinnen, die Rolle von Männern und Frauen bei der Revolution würde sie aber gleich einschätzen. „Der Film zeigt, dass die Frauen eine große Rolle in der Gesellschaft haben, die nicht erst mit der Revolution entstanden ist. Wir machen weiter, die Arbeit dieser Frauen hat vor vielen Jahren angefangen.“

■ Das Festival dauert noch bis morgen. Programm unter www.adk.de