: Aliens retten Ostwestfalen-Lippe
Strukturwandel durch Kunst. Eine Industrieruine in Herford wird zum Leuchtturm der OWL-Region. Der US-Stararchitekt Frank O. Gehry baut der Möbelbranche ein Museum für 28 Millionen Euro
AUS HERFORD PETER ORTMANN
Aus großer Höhe ist über der ostwestfälischen Stadt Herford ein Ufo abgestürzt. Durch den Aufprall wurde der spiegelblanke Edelstahl zusammengequetscht und thront heute als Dach über spektakulären 180.000 roten Klinkersteinen. Der Frank O. Gehry-Museumsneubau ist endlich fertig. Das MARTa ist endlich eröffnet. Die NRW-Region Ostwestfalen-Lippe ist bundesweit in aller Munde – endlich einmal.
In der Kleinstadt am Teutoburger Wald hat die Möbelindustrie das Sagen, Hidden Bluechips wie Poggenpohl, Nobilia oder die Schieder-Holding. Bereits 1996 regte Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD), damals noch NRW-Ministerpräsident, ein branchenbezogenes Kompetenzzentrum an. Aus dem „Haus für Möbel“ wurde erst ein „Zentrum für Design und Kunst“, 2001 machte der belgische documenta9-Chef Jan Hoet daraus das MARTa (Möbel, ART und ambiente). Der inhaltliche Bezug zur Raumausstattung ist immer geblieben, schließlich halten die weltweit operierenden Möbelmacher 44 Prozent an der Betreibergesellschaft. „Das ist hier kein städtisches Museum, sondern eine gemeinnützige GmbH“, sagt Herfords Bürgermeister Bruno Wollbrink (SPD). Angesichts mangelnder Akzeptanz in der Bevölkerung sei das MARTa ein mutiger Schritt in die Zukunft. „Wir brauchen eben in Deutschland Innovation und Internationalität“, begeisterte sich Genosse Clement bei der feierlichen Eröffnung am Wochenende.
Auch der amerikanische Stararchitekt war nach sieben Jahren Bauzeit und drei verschlissenen Bürgermeistern zufrieden. „Ich hoffe, dass sich die Herforder nicht für ein blaues Auge schämen, sondern stolz sind“, sagt Gehry. Draußen demonstrieren rund 50 Menschen im Regen gegen das futuristische Millionenbauwerk. Die Einführung von Hartz-IV und die Zahlung von 29 Millionen Euro für einen Museumsneubau passten nicht zusammen, sagen sie wütend. Auch der Bund der Steuerzahler hatte dem Projekt, das ursprünglich nur rund 15 Millionen Euro kosten sollte, „Größenwahn“ attestiert.
„Entweder die Stadt schläft weiter ein oder sie geht in die Zukunft“. Das sei die einzige Maxime gewesen, sagt Museumsdirektor Jan Hoet. Er richtete mit „(my private) Heroes“ die erste Ausstellung im neuen Museum ein. Ein Streifzug vom Mittelalter in die Moderne. Von Léon Cogniets über Ferdinand Hodler bis zum Psychopunker Jonathan Meese, der bei der Eröffnung im artifiziell zugemüllten Legionärsjeep performte. Auch für Hoet ist es ein Aufbruch in die Zukunft und Endpunkt zugleich. Die „Heroes“ seien eine Hommage an alle seine persönlichen Hintergründe. „Ich fange hier mit einer Abschiedsausstellung an“, sagt er. Danach käme nur noch das Design, „die Möbel, womit Menschen tagtäglich leben“.
Das hört der Herforder Bürgermeister gern, schließlich hat das Museum eine ganz profane Funktion. „Wir wollen, das daraus eine Stärkung des Wirtschaftsfaktors für die Region Ostwestfalen-Lippe wird“ sagt Wollbrink, der in Zukunft „die größte Kleinstadt in Deutschland“ leiten will. Das ganze Viertel um das neue Museum lebe schon auf. Einige hundert Arbeitsplätze seien bereits entstanden. Ob das allerdings 1-Euro-Jobs sind, sagte der Bürgermeister nicht.