: Blutige Schweineohren
„Gnadenlos frauenfreundlich“: Sabine Deitmer hat in ihrem Krimi „Scharfe Stiche“ der Schönheitsindustrie und deren Geschäft mit dem Ästhetikwahn ein wenig schmeichelhaftes Denkmal gesetzt. Jetzt liest sie im Literaturzentrum
„Mein Name ist Stein, Beate Stein. Ich schieße, trete Türen ein und lasse mich nicht einmachen. Von nichts und niemandem. Aber was Gefühle angeht, bin ich ein jämmerlicher Feigling.“ Nach zehnjähriger Abstinenz ermittelt sie wieder: Beate Stein, eine der ersten emanzipierten Ermittlerinnen in der deutschsprachigen Krimiliteratur. Eine, so ihre Erfinderin Sabine Deitmer, die die Machtspiele der Männer durchschaut, aber statt zu jammern nach Mitteln sucht, sich durchzusetzen – ohne Rückgriff auf die klassischen „Waffen der Frau“. Und die dennoch ihre Schwächen hat.
1993 löste Beate Stein ihren ersten Fall, da waren die Frauenkrimi-Reihen schon etabliert. Eine Entwicklung, die auch Deitmer mit ihren frühen Krimi-Erzählungen in den 80er Jahren mit ausgelöst hatte, obgleich sie dem Etikett „Frauen-Krimi“ skeptisch gegenübersteht.
In jährlichem Abstand folgten zwei weitere Fälle, und nun liegt der aktuelle Roman Scharfe Stiche vor, aus dem die Autorin jetzt im Literaturzentrum lesen wird. Kindesmisshandlung, Prostitution, sexualisierte Gewalt – das waren die bisherigen Themen der deutschen Krimi-Preisträgerin. Außerdem, so Deitmer in einem Interview, gehe es ihr darum, was für Geschichten sie „als Kommentar zu den schönen, neuen Zeiten“ erzählen könne.
Die mediale Allgegenwart ihres aktuellen Themas ist erschlagend: Die angebliche Machbarkeit von Schönheit und Jugend wurde zuletzt in aus Amerika übernommenen Fernsehformaten wie „The Swan“ so wirksam wie manipulativ vorgeführt. Bis in den OP folgte die Kamera den Kandidatinnen des Schönheitscamps.
In Scharfe Stiche geht es allerdings noch wesentlich blutiger zu. Professor Schneider, Leiter einer Schönheitsklinik, wird nicht nur tot, sondern fürchterlich entstellt vorm Klinikeingang gefunden: Jemand hat ihm zwei Schweineohren angenäht, sein Gesicht mit Stichen verwüstet. Beate und ihrem Kollegen Weber scheint die Spur der Rache am wahrscheinlichsten: Wer war enttäuscht, als sich der käufliche Traum als Illusion entpuppte? Bei wem ging die Operation schief?
Während die beiden lange im Dunkeln tappen, setzen kursiv gesetzte Einschübe die Lesenden auf die Spur der Mörderin. Sie können dem Schmieden der Mordpläne folgen, dem Hass einer tief Gekränkten, ihrem besessenen Kalkül. Ihre Identität lüftet sich aber für Lesende wie Ermittelnde erst zum Ende hin. Zuvor ist einiges über die Hintergründe einer ganzen Industrie zu erfahren, die ihr Geschäft mit dem Gefühl des Makels macht. Die dieses Gefühl verstärkt und den operativen „ästhetischen Eingriff“ als Normalität zu etablieren sucht.
Deitmar hat viel recherchiert, sie erzählt spannend und zeichnet ihre Ermittlerin ambivalent-sympathisch. Dass am Ende einige Schwächen in der erzählerischen Konstruktion auffallen, hindert nicht daran, mit Spannung das nächste Buch der Autorin zu erwarten, die sich selbst als „gnadenlos frauenfreundlich“ bezeichnet. Carola Ebeling
Sabine Deitmer: „Scharfe Stiche“. Frankfurt/M. 2004, 331 S., 19,90 Euro. Lesung: Mi, 11.5., Literaturzentrum, Schwanenwik 38