: Guerilla Gardening
Ein Reader, der schön die Mitte hält zwischen Dokumentation und Gebrauchsanleitung, akademischer Fußnotenabhandlung und Selbstfeier der Szene: Marc Amann über die Kunst des kreativen Straßenprotests
Die öffentlichen Formen der kollektiven Aktion und des Protestes haben sich in den vergangenen Jahren an jeweils einem der folgenden Parameter orientiert: Konfrontation, Konsens oder Kommerz. Das heißt, entweder man folgte dem Modell „Straßenschlacht“, pfiff auf Verständigung und besorgte den Einkauf kurzerhand an der Kasse vorbei. Oder man trottete geordnet die Straßen entlang bis vor den Endpunkt Rednertribüne, um sich dort die gleichen Parolen anzuhören, die man bereits selbst auf Plakaten durch die Stadt dorthin getragen hatte. Oder man begab sich völlig auf politische Schwundstufe und feierte mit dem öffentlichen Auftreten nur noch sich selbst. Dieses Jahr, so scheint es, sieht das Scheitern aller drei Modelle: Die traditionellen Krawalle zum 1. Mai haben ebenso wenig konfliktfreudige Unterstützer gefunden wie die Love Parade finanzkräftige Sponsoren, und auf Gewerkschaftsdemos marschiert man nur noch mit, um am Ende verdorbenes Gemüse loszuwerden.
Genau der richtige Zeitpunkt also, um mit einer Veröffentlichung auf alternative Möglichkeiten widerständiger Aktionsformen in der Öffentlichkeit aufmerksam zu machen. Der Sammelband „go.stop.act! – Die Kunst des kreativen Straßenprotestes“, herausgegeben von Marc Amann, liefert dazu den Überblick. Im grauen Einband wird Buntes versammelt: von bekannten Aktionsformen wie „Reclaim the Streets“ oder „Street Art“ bis zu obskuren öffentlichen Verhaltensweisen wie „Radical Cheerleading“, „Radical Puppetry“ oder „Guerilla Gardening“. Das Spezifische dieser Aktivitäten liegt in ihrer Unbestimmtheit: Zieh los – halt irgendwo an – tu was! Und sei dabei vielfältig, unberechenbar, multitudenmäßig.
Die Schnittmenge des politischen Protestes zur Performance ist unübersehbar, öffentliche Theatervorführungen, Tanz- oder Musikdarbietungen, Puppenspiele werden als Instrumente des Ausdrucks von Nicht-Einverstanden-Sein entdeckt. Auffällig ist die Verschiebung vom Inhalt auf die Form: Nicht, was gezeigt wird, ist eigentlich entscheidend, sondern das Wie und Wo. Politisches Theater kann nicht in der Abgeschlossenheit subventionierter Guckkastenbühnen stattfinden, sondern nur im eigentlich politischen Raum, der Öffentlichkeit der Straße. Man braucht keine Losungen, wenn schon die bloße Aneignung des Raums in Zeiten seiner Privatisierung selbst eine politische Handlung darstellt.
„Wenn ich nicht tanzen kann, ist das nicht meine Revolution!“ Im Vorwort leitet Herausgeber Marc Amann die rasante Vermehrung neuartiger Proteststrategien vor allem aus dem Unmut über die traditionellen Demonstrationsformen her. „Lahm und schläfrig“ sei der Straßenprotest über die Jahre geworden, unfähig zur Mobilisierung und zur Veränderung der Verhältnisse. Dabei gab es bereits seit Jahrzehnten Formen zivilen Ungehorsams, die sich nicht auf Einreihen und Mitskandieren in Demonstrationszügen beschränkten: eine „Do it yourself culture“ des Protestes, von Baumbesetzungen über Sit-ins bis hin zur Karnevalisierung der Marschierdemos durch Verkleidungen und Maskentragen. Das Prinzip „begrenzter Regelverletzung“ wurde schon lange auch auf die eigene Ausdrucksformen angewandt, aber erst vor dem Hintergrund der erstarkenden Globalisierungskritik der Neunziger explodierte die Szene. Die sucht nicht nur jenseits von Gewerkschaften oder Parteien neue Organisationsformen im Netzwerk, sondern brauchte zur vollen Entfaltung auch neue Formen gewaltfreien Widerstands. So entstand eine „Straßenprotestkultur“, die soziale Praxis als Experiment begreift. Das Ausprobieren von neuen Rollen verweist schon auf die zukünftige Veränderung, die gemeint ist.
An der Rezeptformel „Radical plus alles, was Spaß macht“ lässt sich Potenzial und Dilemma der neuen Protestbewegungen ablesen: Wie weit reicht der Verfremdungseffekt? Wo liegt der Schwerpunkt in der Kopplung von „Kreativität“ mit „Widerstand“? Die Gefahr des Ausverkaufs, der Love-Paradisierung des Protests, zieht sich als roter Faden durch die einzelnen Beiträge. Wie politisch sind Aktionen, die uns Vergnügen bereiten, aber auch den herrschenden Verhältnissen nicht ernstlich weh tun? „Was bleibt, sind schön bebilderte Dokumentationen“, heißt es einmal resignierend. „Guerilla Gardening“ hat es bis auf die Titelseiten eines Berliner Stadtmagazins geschafft und wird mittlerweile von der öffentliche Hand als besonders förderungswürdiges Projekt unterstützt. Auch bei der viel gerühmten „Street Art“ ist die Trennschärfe zu „Unser Dorf soll schöner werden!“ nicht wirklich immer deutlich. Dass der Band dieses Dilemma zwar benennt, eine politische Reflexion darauf aber weit gehend ausbleibt, ist durchaus als Teil des Programms zu verstehen: Handeln statt quatschen. Und an Handlungsanweisungen, Ratschlägen, Internet-Verweisen mangelt es nicht in diesem umfassenden Band, der eine schöne Mitte hält zwischen Dokumentation und Gebrauchsanleitung, akademischer Fußnotenabhandlung und Selbstfeier der Szene. DIETMAR KAMMERER
Marc Amann (Hg.): „go.stop.act! Die Kunst des kreativen Straßenprotestes. Geschichte – Aktionen – Ideen“. Trotzdem Verlagsgenossenschaft, Frankfurt am Main 2005. 240 Seiten, 18 €