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Archiv-Artikel

Wilde Natur weckt Ängste im Schwarzwald

UMWELT Mit einem neuen Anlauf zu einem „Nationalpark Nordschwarzwald“ provoziert Grün-Rot viel Gegenwehr – aus Furcht vor Nutzungsverboten und Borkenkäfern. Andere hoffen auf mehr Tourismus

„Ein Nationalpark wäre ein wichtiger Impuls für die Region“

MINISTER ALEXANDER BONDE

STUTTGART taz | Die Menschen müssen lernen, dass sie nicht alles steuern können – davon ist Thomas Fritz überzeugt. „Dazu gehört eben auch das Sterben eines Baumes“, sagt er. Fritz ist Lehrer und Waldpädagoge – und für einen Nationalpark in Baden-Württemberg. Eine Idee, die es schon seit 20 Jahren gibt, doch die bislang am Widerstand vor Ort gescheitert ist. Nun hat Grün-Rot mit dem Regierungswechsel das Thema neu auf die Tagesordnung gesetzt – und versucht erst einmal, die Diskussion vor Ort zu versachlichen.

„Ich erlebe, dass hier Ängste vorhanden sind, Urängste“, sagt Fritz, der die Diskussion vor Ort verfolgt. Er macht sich mit dem „Freundeskreis Nationalpark Schwarzwald“ für die Einrichtung stark. Ihnen gegenüber steht die Interessengemeinschaft „Unser Nordschwarzwald“, die die Ängste aufgreift und gegen einen Nationalpark mobilmacht. Die Argumente der Gegner-Initiative lassen sich in drei Stichworte fassen: Holzindustrie, Borkenkäfer, Betretungsverbot.

Bei dem Nationalpark geht es um eine zehn mal zehn Kilometer große Fläche im Nordschwarzwald, aus der sich der Mensch nach und nach zurückziehen und die Natur sich selbst überlassen würde. Besucher dürften den Wald weiterhin betreten, aber nur auf vorgesehenen Wegen. Entsprechend warnen die Gegner im Internet vor einem „großflächigen Versuchslabor aus Selbstzweck für die Naturschutzideologie“ – öffentlich äußert sich kaum einer. Den nachwachsenden Rohstoff Holz nicht zu nutzen, sei wirtschaftlicher Selbstmord, und Verbote und Nutzungseinschränkungen für Waldbesucher seien programmiert.

André Baumann vom Naturschutzbund (Nabu) wünscht sich ein wenig mehr Gelassenheit in der Diskussion. „Man möchte die Menschen in die Kernzonen lassen. Ein Nationalpark ist ein Instrument, um Menschen an die natürlichen Prozesse und an die Wildnis heranzuführen“, sagt er.

Es könnten Bildungseinrichtungen entstehen und kulturelle Events veranstaltet werden. „Das ist auch touristisch interessant“. Schließlich sei ein Nationalpark auch ein kulturelles Projekt. „Wenn der Mensch nicht mehr eingreifen darf, darf er auch nicht mehr beurteilen, was gut und was schlecht ist.“ Wenn Tierarten aussterben würden, sei das so. Und wenn sich der Borkenkäfer ausbreiten würde, sei das eben auch so.

Allerdings würde der Wald in einer Übergangszeit von 30 Jahren nur ganz allmählich auf die Wildnis vorbereitet. Dieses Konzept des Entwicklungsnationalparks würde es ermöglichen, dass der Wald erst umgebaut und früh gegen Borkenkäfer vorgegangen werden könnte.

Und während die einen den Untergang der Holzindustrie fürchten, setzen andere auf einen großen Gewinn für den Tourismus – der inzwischen wichtigste Wirtschaftszweig in der Region. „Ein Nationalpark wäre ein wichtiger Impuls für die Region – nicht nur aus der Sicht des Naturschutzes, sondern auch in Bezug auf den Tourismus und die Wirtschaft“, sagte Landwirtschaftsminister Alexander Bonde (Grüne) der taz.

Überprüft werden soll diese Einschätzung durch ein unabhängiges Gutachten, das die Landesregierung aktuell ausgeschrieben hat. Es soll die Chancen und Risiken aufzeigen und damit zur Versachlichung beitragen. Geplant sind zudem Arbeitskreise, in denen sich Experten vor Ort und die Gutachter austauschen sollen. Nationalpark-Befürworter Thomas Fritz begrüßt dies Vorgehen als demokratisch und bürgernah: „Die Landesregierung hätte das Gesetzesvorhaben schließlich auch innerhalb von wenigen Wochen durchpeitschen können.“

Das Gutachten soll Ende des Jahres fertig gestellt sein, um mit den Ergebnissen den Diskussionsprozess im Laufe des nächsten Jahres fortzuführen. Erst dann soll eine endgültige Entscheidung fallen. NADINE MICHEL